© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/10 26. November 2010

Zeitbombe Euro
Irland-Krise: Mit der Rettung des zweiten Pleitestaates mutiert Europa endgültig zur Transferunion
Thorsten Hinz

Die Krise des Euro ist noch kein Flächen-, aber ein Schwelbrand. Auch der kann zum plötzlichen Vergiftungs- und Erstickungstod führen. Trotzdem will kein Politiker an der Einheitswährung rütteln, die zehn Jahre nach der Einführung als gescheitert angesehen werden muß. Was Regierung und Opposition dazu von sich geben, offenbart Ratlosigkeit, und daß es keine relevante Partei in Deutschland gibt, die die Interessen und das Wohl des eigenen Landes gegen fremde Begehrlichkeiten schützt.

Mit der Herstellung der Währungsunion wurde eine ökonomische und finanzpolitische Komplexität hergestellt, die nicht mehr überschau- und erst recht nicht mehr beherrschbar ist. Der Entschluß der Bundesregierung, künftig Privatinvestoren und Banken an den Ausfallrisiken bankrotter Euro-Staaten zu beteiligen, war nachvollziehbar. Doch es war der Marktlogik entsprechend vorherzusehen, daß diese Ankündigung die Zinsen für die Risiko-Länder weiter ansteigen lassen würde. Da unter den Steuerzahlern Europas die deutschen die relativ sicherste Bank darstellen, müßten sie im Ernstfall die Risiken aller anderen schultern. Das heißt: Eine aus deutscher Sicht rationale Finanz- und Haushaltspolitik ist in der Binnenlogik des Euro nicht mehr zu machen.

Der deutsche Exportüberschuß, der nachträglich als Argument für die Euro-Einführung strapaziert wird, sind die Schulden der anderen Länder, die im Fall von Griechenland schon mal abgeschrieben werden können. Bezahlt wurden sie überdies mit Niedriglöhnen und prekären Arbeitsverhältnissen. In der Wohlstandsskala ist Deutschland innerhalb der EU vom dritten auf den neunten Platz abgesackt. Damit nicht genug, macht uns die Position des impotenten Gläubigers in Europa unbeliebt wie schon lange nicht mehr. Sogar alte Reparationsforderungen aus dem Zweiten Weltkrieg werden wiederbelebt.

Dreierlei kam bei der Einführung des Euro zusammen: die Furcht der deutschen Politiker vor ihrer eigenen außenpolitischen Überforderung, die Furcht der Nachbarstaaten vor einem vereinten Deutschland sowie die Desorientierung Europas nach 50jähriger Abstinenz von der Weltpolitik. So wie das wiedervereinte Deutschland sich besinnungslos in eine Europa-Schimäre flüchtete, so setzte Europa an die Stelle einer politischen Idee die Ideologie der Deregulierung, der Globalisierung, der entgrenzten Märkte. Mit dem Ergebnis, daß die nationalen und europäischen Politiker heute als Marionetten der Banken erscheinen.

Es mag ja sein, daß Deutschland aus historischen, geographischen, psychologischen Gründen von allen Ländern das größte Interesse am Gelingen der Europäischen Union hat. Das bedeutet aber auch, daß seine Politik weiterschauend, klüger, besser durchdacht sein muß als die der anderen. Doch man durchmustere das Berliner Personal und stelle sich die Frage: Woher soll der Qualitätssprung denn kommen?

Zwei Alternativen bieten sich an. Die erste besteht in der Auflösung oder der Beschränkung der Gemeinschaftswährung auf eine Hartwährungszone, also auf Länder, die ein ähnliches Produktivitätsniveau und vergleichbare ordnungspolitische Vorstellungen besitzen. Diese Hartwährungszone würde politisch ein Kerneuropa konstituieren, das innerhalb der Europäischen Union die Führungsfunktion einnehmen würde. Die anderen Länder könnten zu diesem europäischen Kern auf- oder sich ihm in Teilen anschließen. Gestaffelt nach der Intensität der Zusammenarbeit würden sie um den Kern konzentrische Kreise bilden. Das würde einen völligen Umbau der Union und einen Rückbau der Brüsseler Institutionen bedeuten. Die Bürokratie würde zurückgestuft und wieder in eine dienende Funktion versetzt, die nationalen Parlamente wären wieder Orte, von denen demokratisch legitimierte Macht ausgeht, anstatt nur Vollzug verkündet wird.

Die Aussichten dafür sind freilich schlecht. Die Brüsseler Oligarchie bewiese schließlich ihren parasitären Charakter, und schwächelnde Euro-Länder haben begreiflicherweise keine Lust, auf die deutschen Finanzgarantien zu verzichten. Für Politiker ist es angesichts ihrer Überforderung bequem, sich hinter dem System organisierter Verantwortungslosigkeit zu verstecken, das sich zwischen Brüssel und den Hauptstädten herausgebildet hat. In Deutschland schließlich, dessen harte, hochgeachtete Währung unter Beteiligung seiner eigenen politischen Klasse zerstört wurde, wären die Folgen besonders gravierend. Die Korrektur des Euro-Systems bedeutete das Eingeständnis einer gravierenden Fehlentscheidung, die gegen den Willen des Demos durch beinahe die gesamte politische Klasse durchgesetzt wurde. Die ausgelöste Fehlerdiskussion könnte sogar die Frage aufwerfen, warum der Umstand der Regierungs- und Politikerkriminalität ausschließlich ein Merkmal der DDR bleiben soll. Die Funktionseliten in Presse, Verbänden, Wirtschaft und Finanzen würden gleichfalls als Kaiser ohne Hemd dastehen.

Weil weder die Brüsseler noch die Berliner Politik diese Entwicklung freiwillig hinnehmen werden, ist es absehbar, daß die bisherige Europa-Politik bis zum Exzeß weitergetrieben wird. Um den Bestand des Euro zu gewährleisten, wird es – wie vom bankennahen Handelsblatt gerade gefordert – wohl zu einer Währungsunion 2.0 kommen, also zu einer Transferunion. Zunächst informell über gemeinsame Euro-Anleihen, später über einen offiziellen Finanzausgleich, der sich im Krisenmechanismus, der ab 2013 in Kraft treten soll, bereits abzeichnet. Für Deutschland heißt das mindestens eine weitere Erhöhung der Steuer- und Abgabenlast. Um die erwartbare Empörung niederzuhalten, wird auf allen Ebenen eine fortschreitende Repression der Euro-Gegner stattfinden. Ach ja: Mit Demokratie und Rechtsstaat hat das Ganze schon lange nichts mehr zu tun.

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