© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/10 03. Dezember 2010

Türkei-Beitritt
Europas Harakiri
Klaus Hornung

Seit über fünf Jahren, seit 2005, verhandelt Brüssel mit der Türkei über deren EU-Beitritt – ergebnisoffen, wie es heißt. In etwa zwei Jahren, wenn nicht früher, ist damit zu rechnen, daß es zum Schwur kommt.

Das eine ist sicher, die Mehrheit der Europäer ist gegen diesen Beitritt. Mit Volksabstimmungen wäre das Thema rasch vom Tisch. Auch die derzeitigen Regierungen in Berlin und Paris, nicht jedoch in London, sprechen sich dagegen aus. Das dürfte sich jedoch bei Regierungswechseln nach links ändern.

Bekanntlich verfolgt die europäische Linke zusammen mit der heutigen islamistischen Regierung in Ankara einen großen Deal: Erdogan will den Export, die Entsorgung des unqualifizierten Teils seiner Bevölkerung aus Anatolien ins geburtenschwache Europa, die sozialistischen und grünen Linken in Europa versprechen sich umgekehrt davon eine Wählerschaft, die ihre Mehrheit unumkehrbar machen soll. Hinzu kommt der Druck der europäischen und globalen Wirtschaft, durch die Zuwanderung eine billige Reservearmee auf dem Arbeitsmarkt und zugleich mit dem EU-Mitglied Türkei ein Eldorado für den industriellen Export zu gewinnen.

In den Vereinigten Staaten gibt es aber auch die Doppelstrategie, durch die Türkei die westliche Position im Nahen Osten zu stärken, mit ihr aber eine Hand im europäischen Teig zu behalten. Immerhin nannte der Historiker Hans-Ulrich Wehler kürzlich die rot-grüne Beitrittsrhetorik „unredliche und parteiegoistische Hoffnungen, die der Dimension der Problematik völlig unangemessen sind. Warum sollte sich die Europäische Union so charmante Nachbarn wie den chaotischen Irak, die syrische Diktatur oder die iranische Theokratie zulegen?“ Wehler nannte das, im Gegensatz zu vielen seiner Parteifreunde, sehr realistisch ein „verblendetes Harakiri“.

Es gibt ein durchschlagendes Mittel, der Europäischen Union endgültig den Garaus zu machen: es heißt EU-Beitritt der Türkei. Wer bei uns heute nach den bitteren Erfahrungen mit den Mittelmeer-Ländern noch immer an diesem Projekt festhält, begeht in der Tat ein europäisches Harakiri. Zu Recht hat Helmut Schmidt soeben vor dieser „gewaltigen Fehlentwicklung“ gewarnt; auch er blickt eben weiter als viele in unseren derzeitigen „Eliten“.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Hohenheim

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