© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/10 03. Dezember 2010

„Wir sind vorbereitet“
Er gilt als Deutschlands schillerndster Islamist. Der Konvertit Pierre Vogel predigt für den Sieg eines fundamentalen Islam.
Moritz Schwarz

Herr Vogel, die „Frankfurter Rundschau“ nennt sie einen „Popstar“, die „Zeit“ den „Superstar einer neuen radikalen islamischen Frömmigkeit“ in Deutschland.

Vogel: Die Jugendlichen kommen zu uns, hören und entdecken die Wahrheit.

Was ist das Geheimnis Ihres Erfolges?

Vogel: Ich weiß nicht, sagen Sie es mir.

Die „Zeit“ erklärt: „Vogel steht dafür, daß Frömmigkeit cool sein kann“ und die „Welt“ meint: „Trotz strenggläubiger Schulung ist er ein Kölscher Jung geblieben, mit wunderbar rheinischem Singsang, kumpelhaft, mit Komiker-Talent und volkstümlicher, lockerer Sprache ... Vogel weiß, wie das Leben als Jugendlicher ist.“

Vogel: Ich kenne eben alles, Spielhallen, Discos, Frauen, die Straße. Wenn ich sage, daß es besser ist, keusch und verheiratet zu leben, dann hat das deshalb auch Überzeugungskraft.

Ist es Ihre Ex-Karriere als Profiboxer?

Vogel: Das glaube ich weniger, aber wer weiß ...

Jugendliche geben an, Sie hätten ihnen „die Augen geöffnet“. Ihre Internetpredigten wurden rund sechs Millionen mal abgerufen.

Vogel: Wir bieten rationale, authentische, religiöse Argumente. Das Wort, das vom Herzen kommt, trifft meist auch die Herzen.

Sie wurden evangelisch getauft, besuchten eine katholische Klosterschule – warum sind Sie zum Islam konvertiert?

Vogel: Das ist eine lange Geschichte, zusammengefaßt kann man sagen, daß ich einfach durch Recherche festgestellt habe, der Islam ist die einzige Religion, die die logischen Argumente hat, die wahre Religion zu sein.

Was ist mit dem Christentum?

Vogel: Im Christentum habe ich dagegen Widersprüche entdeckt.

Es gibt inzwischen selbst islamische Religionsgelehrte, die den Koran hinterfragen.

Vogel: Ich habe den Koran auch sehr lange hinterfragt und mich mit den gängigen Vorbehalten gegen ihn auseinandergesetzt. Aber ich habe festgestellt, daß alle Argumente gegen ihn ausnahmslos und plausibel widerlegbar sind. Dagegen finde ich in der Bibel klare, unwiderlegbare Widersprüche.

Zum Beispiel?

Vogel: Ich lese etwa in Matthäus 27, Vers 4, Judas habe das Geld für den Verrat an Jesus weggeworfen, dann lese ich in Apostelgeschichte 1, Vers 18, Judas habe sich davon einen Acker gekauft. Oder in Levitikus 11, Vers 6 steht, der Hase sei ein Wiederkäuer. Das sind unvereinbare Widersprüche und Fehler.

Sie sind vom Christentum abgefallen, weil der Hase kein Wiederkäuer ist?

Vogel: Wenn ich daran glaube, daß es einen allmächtigen, allwissenden Gott gibt, der uns etwas vermitteln will, der uns Menschen mit einem Bewußtsein erschaffen hat, das uns darüber nachdenken läßt, wo wir herkommen, wo wir hingehen und was der Sinn unseres Lebens ist, dann darf in der Botschaft Gottes kein Fehler vorkommen.

Kein Christ behauptet, die Bibel sei von Gott geschrieben, Fleisch wurde Gott in Jesus Christus.

Vogel: Angeblich. Ich muß jedoch sagen, daß ich einen gewissen Respekt habe, wenn Christen konsequent am Christentum festhalten und ihre Religion nicht zum Selbstbedienungsladen machen. Etwa wenn sie, entgegen naturwissenschaftlicher Tatsachen, behaupten, die Erde sei nur ca. 6.000 Jahre alt, weil sie auf der Bibel als Fundament konsequent beharren.

Sind Sie ein Fundamentalist?

Vogel: Ja, aber selbstverständlich.

Selbst mancher Moslem nennt Sie radikal.

Vogel: Ich bin radikal, in Ordnung.

Der Verfassungsschutz stuft Sie als verfassungsfeindlich ein.

Vogel: Die sogenannten Verfassungsschützer sollen uns doch mal aufklären, was für sie verfassungsfeindlich ist. Mein Ziel beschränkt sich darauf, Menschen zum Islam einzuladen, wenn das verfassungsfeindlich ist, bitte schön. Dann sollten die mich verbieten und dann sind die selber verfassungsfeindlich, weil sie dann gegen die Meinungsfreiheit sind.Keiner hat so gegen Terrorismus gepredigt wie wir und damit Muslime von diesen Gedanken weggebracht oder sie gegen solche Ideen immunisiert. Vielleicht haben die Verfassungsschützer Angst um ihre Arbeitsplätze.

„Die Pierre-Vogel-Gesellschaft sieht letztlich aus, wie das Afghanistan der Taliban“, so ein muslimischer Student über Sie.

Vogel: Leider gibt es in unseren Reihen viele Leute, die keine Ahnung haben, sich aber gerne reden hören. Jeder, der uns kennt, weiß aber, daß unsere Gesellschaft vielmehr eine Gesellschaft sein würde, die Andalusien in seiner besten Zeit ähnelt. Dort lebten Juden, Christen und Muslime friedlich miteinander.

Einer unserer Mitarbeiter schilderte seinen Eindruck eines Gesprächs mit Ihnen und Ihren Anhängern in der Berliner al-Nur-Moschee 2009 so: „Ich war nur als Christ akzeptabler Gesprächspartner. Aber genau dadurch war ich auch schon besiegt, weil mir aufgenötigt wurde, auf dem Niveau rigider Moralvorstellungen – Stichwort: Altes Testament – zu argumentieren, und selbst dann war ich noch der Feind.“

Vogel: Bei mir ist jeder willkommen zur Diskussion: Atheisten, Christen, Kommunisten, Faschisten, Buddhisten, Juden etc. – sogar Journalisten. Daher kann ich den Eindruck Ihres Kollegen nicht verstehen. Ich kann mich auch nicht an so ein Gespräch erinnern. Gegenüber Journalisten sind viele Muslime, auch gerade in der al-Nur-Moschee, allerdings sehr mißtrauisch. Doch bisher haben mir immer alle Andersdenkenden und auch Journalisten gesagt, daß sie über meine Offenheit überrascht sind. 

Wird Europa in Zukunft islamisch sein?

Vogel: Für die nahe Zukunft: Wer vermag das zu sagen? Auf der einen Seite ist der Islam in der Tat schwer im Kommen, auf der anderen Seite gibt es auch Muslime, die sich immer mehr vom Glauben entfernen. Für die ferne Zukunft: Es ist ganz klar, daß langfristig, spätestens kurz vor dem jüngsten Tag, der Islam die Weltreligion Nummer eins sein wird.

Also arbeiten Sie am Kalifat Europa.

Vogel: Meine Arbeit beschränkt sich wie schon gesagt darauf, Menschen zum Islam einzuladen. Allerdings ist mittlerweile durch die Medien und diverse Internetplattformen eine sehr feindliche Atmosphäre geschaffen worden, und ich könnte mir durchaus vorstellen, daß es für die Muslime in Europa daher in den nächsten zehn Jahren sehr hart wird.

Was meinen Sie konkret?

Vogel: Es gibt eine Überlieferung des Propheten Mohammed – Friede und Segen sei auf ihm! –, die besagt, daß sich der Islam in Europa verbreiten wird und daß zwar sehr viele Römer, also Europäer, den Islam annehmen werden, die meisten jedoch nicht und diese werden Widerstand erzeugen, mit der Folge daß Muslime aus Europa deportiert oder gar abgeschlachtet werden. Das Problem ist allerdings, daß diese Überlieferung quasi apokryph, also nicht ganz klar ist, ob sie authentisch ist. Wenn ich mir allerdings die Lage der Muslime in Europa heute vor Augen führe, dann kann ich mir vorstellen, daß all dies eintreten wird.

Die deutschen Behörden benennen als Gefahr Nummer eins für die innere Sicherheit allerdings nicht drohende Gewalt gegen, sondern durch Muslime.

Vogel: Wenn heute zur Gewalt gegen Muslime aufgerufen werden würde, dann würde es nicht nur etwa 400 Tote geben, wie in der Reichskristallnacht 1938, sondern dann würden bestimmt Tausende Muslime erschlagen werden. Sicher, es gibt viele tolerante, differenziert denkende Menschen in Deutschland aber die Zahl derjenigen, die eine Ausrottung der praktizierenden Muslime befürwortet, steigt durch die Hetze rasant.

Ausrottung? Das meinen Sie im Ernst?

Vogel: Man braucht sich nur in islamfeindlichen Blogs umzuschauen. 40.000 Besucher täglich und Hunderte Kommentare wie „Atombombe auf Mekka!“, „Raus mit dem Pack!“ oder „Rasiert ihre Bärtigen, indem ihr ihnen die Köpfe abschlagt, vergewaltigt ihre Frauen und verbrennt ihre Brut!“ und keiner distanziert sich von solchen Kommentaren. Im Gegenteil, da wird dann erwidert, man könne diese Meinung ja gerne haben, aber man solle sie nicht so öffentlich kundtun, da dies bei der Rekrutierung neuer Anhänger abschreckt. Also nach dem Motto: erstmal die kleine Dosis, danach die volle Dosis. Und die deutsche Regierung schaut sich diese Hetze mit offenen Augen an und tut nichts dagegen, bis die nächste schwangere Muslimin abgestochen wird, dann heult Frau Merkel wieder rum und verurteilt das Verbrechen.

Wie reagieren Sie auf Ihre Lageanalyse?

Vogel: Wir sind darauf vorbereitet.

Was konkret heißt?

Vogel: Für uns Muslime ist alles ein Sieg, selbst ein solcher Opfergang. Denn wenn wir für unsere Religion abgeschlachtet werden, sterben wir den Märtyrertod.

Sie sind bereit für den Märtyrertod?

Vogel: Ich hoffe, der allmächtige Gott macht mich standhaft. Möge er mich bewahren, zu denjenigen zu gehören, die nur große Töne spucken. Allerdings wissen Sie ja, daß ich mit Märtyrertod nicht Terroranschläge meine.

Apropos Märtyrertod: Der ermordete Theo van Gogh war kein Muslim – sein Mörder allerdings schon.

Vogel: Und Marwa el-Sherbini wurde von einem durch Medien aufgehetzten Islamhasser 2009 in einem Dresdner Gerichtssaal vor den Augen ihres dreijährigen Sohnes zermetzelt. Aber ich rede hier nicht von Einzelfällen, sondern von politischen Veränderungen durch das Schüren von Ängsten. Solche Veränderungen können rasant eintreten. Zum Beispiel hatte die NSDAP 1928 nur 2,6  Prozent, doch schon 1933 wurde Hitler Reichskanzler. Und noch vor zehn Jahren hätte ein Geert Wilders in Holland keine Chance gehabt mit seiner „Kopftuchsteuer“. Was passiert morgen? Welche Absurdität vertreten die Aufgehetzten dann? 

Realität sind allerdings bisher die Anschläge von New York, London, Madrid oder die jüngsten Terrorwarnungen bei uns.

Vogel: All diese Anschläge sind nur dumme Verzweiflungsakte, die aus islamischer Sicht Verbrechen sind und noch dazu den Muslimen nur schaden und absolut keinen Nutzen bringen. Hiervor kann man Angst haben. Und dennoch: Die Gefahr, bei einem Autounfall ums Leben zu kommen, ist definitiv größer. Leider gibt es aber wirklich Muslime, die unverschämterweise versuchen, solche dummen Verbrechen mit dem Islam zu rechtfertigen. Doch diese Anschläge werden niemals die Existenz der Christen als Ganzes bedrohen. Ich sehe jedoch eine Bedrohung als Ganzes für die in Europa lebenden Muslime, wenn die Hetze so weitergeht. Sie fragen mich, wie ich Pogrome gegen Muslime in Europa überhaupt für möglich halten könne: Ich sage, sie haben etwa in Bosnien schon stattgefunden, und sie sind natürlich auch in anderen europäischen Ländern möglich. Die Juden waren 1938 weit besser integriert als die Muslime heute – und dennoch ist es passiert. Auch die Muslime in Bosnien waren weit besser integriert als die Muslime heute in Deutschland. Und der Haß hat damals genauso angefangen wie jetzt. Damals wurden Ängste genauso geschürt. Dies bestätigen auch Antisemitismusforscher.

Ihr Argument der gefährlichen Stimmungen richtet sich genauso gegen Sie selbst: Etwa Ihre ständige Warnung vor einem „Abschlachten der Muslime in Europa“ könnte dazu führen, daß sich Einzeltäter aufgerufen fühlen, per Terroranschlag in die Offensive zu gehen.

Vogel: Das ist falsch. Es gibt erstens niemanden, der auf diese Idee gekommen ist. Zweitens erwähnen wir immer auch die Lösung für das Problem, nämlich daß wir auf die Menschen zugehen müssen, um ihnen die Ängste zu nehmen. Und wir betonen immer wieder im selben Atemzug, daß Terrorismus unislamisch ist. Tatsächlich sind wir selbst diejenigen – ich weiß, daß werden Sie eh nicht abdrucken –, die am meisten Probleme mit denen haben, die Terror predigen. Warum? Weil wir den Terror ablehnen, ja sogar darauf hinweisen, daß er durch den Islam verboten ist.

Zu Ihren Freunden zählt Bilal Philips, der angeblich Gewalt gegen Homosexuelle gutheißt – so weit kann es da mit der Distanzierung von der Gewalt nicht her sein.

Vogel: Wenn ein Priester aus der Bibel vorliest und sagt, in Levitikus 20, Vers 13 steht, daß diejenigen, die homosexuellen Verkehr getrieben haben, getötet werden müssen, hat der Priester dann zum Töten Homosexueller aufgerufen? Unser Ziel ist es, Homosexuelle vom Islam zu überzeugen, ich habe darüber auch einen detaillierten Vortrag gehalten. Nochmal: Wir predigen mit dem Koran gegen Terrorismus und wir haben schon viele Jugendliche überzeugt, daß der Islam gegen diese Form von Gewalt ist. Deswegen sind wir für die Terrorbefürworter auch Verräter und ihre gefährlichsten Feinde, weil wir wissen, wie man gegen sie argumentiert. Man kann sich bei Youtube davon überzeugen, wie wir von ihnen als Verräter bezeichnet werden.

Sie empfehlen also, fundamentalen Islam als besten Schutz gegen Terrorismus?

Vogel: Unbedingt.

Das dürfte in deutschen Ohren wie die Empfehlung zum Selbstmord aus Angst vor dem Tod klingen.

Vogel: Vielleicht für Leute, die sich nicht auskennen – aber genauso ist es. Wenn jemand einem jugendlichen Muslim einen Vers dahingehend erklärt, daß er versucht damit Terror zu rechtfertigen, dann muß ich ihm zeigen und illustrieren, daß der Terrorbefürworter den Koran oberflächlich interpretiert und den historischen wie den textlichen Kontext, als auch andere Überlieferungen absichtlich nicht erwähnt. Das zeige ich auch in einem Video. Meine Frage an die Zuschauer und Zuhörer ist immer die: „Der Prophet Muhammad hat es verboten, im Kriegsfall Frauen, Kinder, Greise und Mönche zu töten, weil diese sich nicht am Krieg beteiligen. Wie können also die Befürworter von Terror gezielte Anschläge auf diese Personengruppen in Friedenszeiten rechtfertigen!“

 

Pierre Vogel, gilt als „einer der bekanntesten islamischen Missionare im Land“ (FAZ). Für den Verfassungsschutz ist er eine potentielle Gefahr, für die Medien aufregendes Phänomen. 1978 wurde er als deutscher Gastwirtssohn in der Nähe von Köln geboren und evangelisch getauft. Mit 22 konvertierte der damalige Profi-Boxer zum Islam und nennt sich seitdem Abu Hamza. Vogel hängt der besonders strengen Richtung des Salafismus an, heiratete eine marokkanische Muslima und studierte in Mekka, wo er nach eigenen Angaben Kontakt zu Mitgliedern der späteren Sauerland-Gruppe gehabt, diesen jedoch von Anschlägen abgeraten habe. Tatsächlich hat Vogel sich immer wieder engagiert gegen Gewalt ausgesprochen, dennoch bezichtigen ihn die Innenbehörden, „mit seinen Parolen (zur) Radikalisierung von Muslimen“ beizutragen. Vogel reklamiert dagegen, gerade der Radikalisierung instabiler Charaktere entgegenzuwirken. pierrevogel.de

 

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