© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/10 03. Dezember 2010

CD: Titel
Mahnmal für Verzweifelte
Nils Wegner

Älteren Sympathisanten finsterer Metal-Musik dürfte die Gruppe Bethlehem aus Grevenbroich noch als Geheimtip erinnerlich sein. Mit düsterem Geschrammel und obskuren, fast dadaistischen Texten waren sie die Begründer des Dark-Metal-Genres. Ihre frühen Werke wie das Album „Sardonischer Untergang im Zeichen irreligiöser Darbietung“, kurz „S.U.I.Z.I.D.“, gelten noch heute als Meilensteine der deutschen Szene.

Mit Marco Kehren meldet sich aus den Niederlanden nun ein ehemaliger Sänger der Band zurück. Der Musiker, neben Bethlehem auch bei Deinonychus aktiv, beschloß 2007, sich vom Metal abzuwenden und nach einer neuen musikalischen Ausdrucksform zu suchen. Diese fand er im „Martial Ambient“, also der Kombination elektronischer Klangschleifen, orchestraler Harmonien und knalliger Marschtrommeln, die Gruppen wie „Dead Can Dance“ oder „In Slaughter Natives“ Anfang der neunziger Jahre begründeten. Mit seinem aktuellen Projekt Nihil Novi Sub Sole veröffentlichte er fortan auf der Internetplattform MySpace in atemberaubendem Tempo neue Kompositionen. Im Frühjahr 2010 erschien dann das Debütalbum „Jupiter Temple“, auf dem Kehren aus den genannten Zutaten ein Amalgam der Bitterkeit schafft.

Thematisch scheint das Album in seiner Untergangsstimmung völlig entgrenzt; die verwendeten Samples bestehen vor allem aus Zeugenaussagen zu Greueltaten im Zweiten Weltkrieg. Diese stammen zu einem Großteil aus dem Oratorium „Die Ermittlung“ von Peter Weiss. Eingestreutes Schafe-Blöken und Streicherklänge in tiefstem Moll konterkarieren martialische Trommeln und Posaunenklänge in erstaunlich gefälliger Weise. So entsteht das Gesamtbild einer Elegie auf das Leid der Besiegten überhaupt.

Titel wie „Victoria Victis“ mit seinen gregorianischen Chorälen verstärken diesen Eindruck. Thematisch liegt hier eine Verwandtschaft zur luxemburgischen Neofolk-Band Rome vor, zu der sich Marco Kehren auf Werbefotos für Nihil Novi Sub Sole bekennt. Durch eines der atmosphärisch dichtesten Lieder, „To Enslave & Destroy“, zieht sich das klagende Weinen einer Frau, während Trommelwirbel wie marschierende Stiefel darüber hinwegzuschreiten scheinen.

Und in der Tat soll „Jupiter Temple“, wie Kehren im minimalistisch gestalteten Beiheft schreibt, ein Mahnmal sein für all jene Verzweifelten, denen „durch Ignoranz und Intoleranz die Möglichkeit genommen wurde, ein Leben in Freiheit zu leben“. Hieraus erklärt sich auch der Projektname: Die nach Nietzsche „ewige Wiederkehr des Gleichen“ macht aus dem Horror von Krieg und Leid „nichts Neues unter der Sonne“. Der Titel des Albums bezieht sich hingegen doppeldeutig auf den griechisch-römischen Mythos der Geburt der Weisheitsgöttin aus dem Kopf des Zeus bzw. Jupiter – „Temple“ kann sowohl mit „Tempel“ als auch mit „Schläfe“ übersetzt werden.

Auch wenn Kehren das Rad nicht neu erfindet (sarkastischerweise könnte man den Projektnamen auch in diese Richtung auslegen): „Jupiter Temple“ ist ein in sich geschlossenes und stellenweise sehr ergreifendes Album. Gewiß keine Musik zum Feiern, eher für einsame Stunden des Nachsinnens.

Nihil Novi Sub Sole, Jupiter  Temple My Kingdom Music, 2010   www.mykingdommusic.net

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