© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/10 03. Dezember 2010

Fester Tritt auf nördlicher Heimaterde
Nur ganz Tote lassen sich wiederentdecken: Der Maler Philipp Franck im Berliner Bröhan-Museum
Sebastian Hennig

Ein sehr beherzter und solider Landschaftsmaler war Philipp Franck, nicht eben genialisch im Zugriff auf seine Motive, aber im Kleinen sehr originell. Seine privat immer beliebt gebliebenen und dennoch öffentlich in Vergessenheit geratenen Werke stehen im Mittelpunkt einer umfassenden Ausstellung des Bröhan-Museums in Berlin-Charlottenburg.

Mitveranstalter der Retrospektive „Vom Taunus zum Wannsee“ ist das Frankfurter Museum Giersch. Der Titel ist dem Erinnerungsbuch entlehnt, das der sechzigjährige Maler 1920 veröffentlichte. Seine künstlerischen Neigungen offenbarten sich zeitig. Allein der Vater bestand auf dem Architekturstudium am Städelschen Kunstinstitut. Später gelang es ihm doch noch, in die Malerei zu wechseln und sein Studium in Düsseldorf fortzusetzen. 1884 wurde ihm als erster Achtungserfolg auf der Großen Internationalen Kunstausstellung, zugleich mit Lovis Corinth, eine Bronzemedaille zuerkannt. Nach der Hochzeit suchte er zunächst ein sicheres Auskommen zu finden und wurde Zeichenlehrer, erst an den Franckeschen Stiftungen in Halle und schließlich an der Königlichen Kunstschule in Berlin.

Bis zu seinem Ruhestand mußte er sich fünf Lehrtage in der Woche durchringen, ehe er selbst produktiv werden konnte. Der Künstler bemerkt stolz: „Mit dieser knappen Zeit hielt ich meine Stellung im Berliner Kunstleben jahrelang aufrecht.“ Zudem war er noch mit der Revision des Zeichenunterrichtes in den östlichen Provinzen Preußens betraut. Gleich wie seine Leidensgenossen in dieser Fron, Paul Holz und Giorgio Morandi, schuf er dennoch ein umfangreiches Werk, dem dieses Hindernis nicht anzumerken ist.

Interessanter als die etwas gleichtönigen Blumenbilder sind die Stadtlandschaften und die Bilder von der arbeitenden Landbevölkerung. Das Fischerdorf Stolpe am Wannsee bietet ihm nahe der Großstadt die kleine Welt eines tätigen erdverbundenen Lebens. Die Frauen in dunklen Röcken und Kopftüchern auf dem Kartoffelacker, farbige Kinderscharen auf dem Schulweg, Knaben beim Baden im See: Die überschaubare Lebenswelt dieser Bilder rührt uns schon durch das versunkene Sujet des alten Dorffriedens. Eine Daseinsform, die vor hundert Jahren in Deutschland noch allgegenwärtig war und heute bis in das letzte Gebirgsnest der globalen Dynamisierung ausgesetzt ist. Der Städter Franck wird es ein wenig gespürt haben, und dieses Gefühl der Gefährdung hat ihn vielleicht zu den Motiven geführt. So wichtig ihm die Kirchtürme und Kuppeln in den Stadtansichten sind, so wenig möchte er die Segelboote und Schwäne auf der Wasserfläche vermissen.

1898 wurde ein wichtiges Jahr für den Maler. Zum einen wurde die Berliner Secession gegründet, in deren Ausstellungen der Maler regelmäßig vertreten war, und er wurde zum Professor ernannt. Die feste Anstellung ermöglichte ein in materieller Hinsicht sorgloses Leben. Zudem führte er zahlreiche Bildnisaufträge aus und verkaufte sehr gut. Franck schwärmt von dem Glücksgefühl, wenn eine ganze Ausstellung ausverkauft ist. Damit wird auch seine biedere, eigentlich fast handwerksmäßige Auffassung von der Malerei deutlich. Er war ein umgänglicher Mensch, immer um Ausgleich bemüht. Mit dem Maler des Grunewaldsees, Walter Leistikow, war er ebenso befreundet wie mit dem Nachbarn am Wannseeufer, Max Liebermann. Bei einem zufälligen Treffen in der Sixtinischen Kapelle in Rom verkehren sie freundlich, während kurz zuvor daheim die Secession auseinanderbrach, und auch Franck zu den Refüsierten gehört, die sich um Corinth sammeln. Später arbeitet Franck als Sektionsvorsitzender mit dem Präsidenten der Akademie Liebermann eng zusammen.

Seit 1932 malte er Ansichten von Potsdam vom Turm des Reichsarchivs auf dem Brauhausberg und aus dem obersten Stock des Palasthotels neben der Langen Brücke. Es war eine Gnade für ihn, daß er noch vor der Bombardierung der geliebten Stadt im März 1944 die Augen für immer schließen durfte. „Letztes Selbstbildnis“ und „Birken im Schnee“ aus seinem Sterbejahr reichen formal schon in eine neue Kunstepoche hinein. Nach dem Krieg wurde es still um den Nachlaß. Erst in den achtziger und neunziger Jahren bewirkte die Ausstellung einer Galerie in Berlin-Wannsee erneute Aufmerksamkeit. Der Künstler wußte um das Schicksal der Maler: „Erst wenn sie ganz tot sind, lassen sie sich so schön ‘entdecken’.“

Die späten Potsdam-Veduten gehören zum Besten, was er gemalt hat. Auf einem anmutig leichten Aquarell von 1934 zieht eine lange weiße Fahne hinter der kaum sichtbaren Eisenbahn her, welche diagonal durch den Ausblick rast. Im Vordergrund sind Fabrikgebäude am Havelufer zu sehen, während der Mittelgrund vom gebieterischen Turm der Garnisonkirche beherrscht wird, hinter der ferne Hügel schimmern. Im Ölbild „Blick auf Potsdam mit der Nikolaikirche“ (1930) findet sich der gleiche Eindruck der Rauchfahne vor einer dunklen Baumgruppe. Der zugleich lockere und doch naiv zupackende Malduktus erinnert an Stadtansichten Kokoschkas und die Manier Ensors. Andere Bilder Francks aus der gleichen Zeit umfassen viel zaghafter und gegenstandsbefangener die Objekte. Interessant wird seine indirekte Linearität, die weniger durch die Farbwirkung, sondern zumeist durch den Hell-Dunkel-Kontrast angrenzender Farbflächen hervorgerufen wird, in den ruhigen Bildern vom See, wo Himmel und Wasser große Teile der Bildfläche ausfüllen. Der winterliche „Blick auf Tornow“ (1934) erinnert an den Pariser Albert Marquet in der schlichten, fast gezeichneten Pinselführung. Diese Ähnlichkeiten erweisen kein Epigonentum des Malers, als vielmehr die elastische Spannbreite des zweifellos nicht erstklassigen Künstlers, der in einzelnen Werken doch höchstes Niveau erreichte.

Dabei hielt der Schnellmaler, der selten länger als vier Stunden vorm Motiv stand, strenges Gericht. Nach einer Italienreise ließ er viele mitgebrachte Bilder in der Feuerluke des heimischen Kachelofens verschwinden. Die Aquarelle von einer späteren Romreise zeigen wenig Gefühl für das Licht und die Aura der mediterranen Welt. Seine römischen Pinien wirken kühler als die Kiefern im märkischen Sand, und eine frühere Ansicht vom „Canal Grande“ läßt von der Farbtemperatur her eher an den Landwehrkanal oder den Kupfergraben denken.

Immer wieder wendete Philipp Franck sich der vertrauten Taunuslandschaft zu. Auf der nördlicheren Heimaterde gewinnt er festeren Tritt.

Die Ausstellung „Der Maler Philipp Franck (1860–1944) – Vom Taunus zum Wannsee“ ist bis zum 16. Januar 2011 im Berliner Bröhan-Museum, Schloßstr. 1a, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 030 / 32 69 06 00  www.broehan-museum.de

Foto: Philipp Franck, Schulweg (Öl auf Leinwand, 1906): Die überschaubare Lebenswelt dieser Bilder rührt uns schon durch das versunkene Sujet des alten Dorffriedens. Eine Daseinsform, die vor hundert Jahren in Deutschland noch allgegenwärtig war und heute bis in das letzte Gebirgsnest der globalen Dynamisierung ausgesetzt ist.

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