© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/10 03. Dezember 2010

Gegen alle Konventionen
Regie: Jean-Luc Godard wird achtzig
Harald Harzheim

Filmfestspiele in Cannes, Anfang der achtziger Jahre: Regisseur Jean-Luc Godard verläßt das Festspielhaus, da stürmt ein Unbekannter herbei und klatscht ihm eine Sahnetorte mitten ins Gesicht. Von der Polizei abgeführt, schreit der Attentäter bloß: „Ich hab’ diesen linken Spinner so satt! Satt! Satt!“

Egal wie man diese Aktion beurteilt, sie kam in jedem Fall zu spät. Denn der französisch-schweizerische Filmemacher hatte sich zu dem Zeitpunkt bereits vom Maoismus distanziert.

Am 3. Dezember 1930 in einem großbürgerlichen Elternhaus bei Paris geboren, gehörte Godard, der ab 1952 für die Zeitschrift Cahiers du cinéma Filmkritiken verfaßte, neben François Truffaut, Claude Chabrol, Eric Rohmer und Jacques Rivette zu den Begründern  des französischen Autorenkinos. 1959 mixte er in seinem Spielfilm-Debut „À bout de souffle“ (Außer Atem) französischen Existentialismus mit amerikanischem Gangsterfilmgenre, machte Jean Seberg und Jean-Paul Belmondo damit zu Kultstars. Der Film sprengte alle ästhetischen Regeln: Godard drehte nicht im Atelier, sondern auf der Straße, ohne Kunstlicht und mit zufälligen Passanten als „Komparsen“. Die Montage wurde sichtbar, abrupte Schnitte unterbrachen den Bildfluß.

Nach dem Durchschlag des Erstlings bei Publikum und Kritik folgte Film auf Film, darunter „Pierrot le fou“ (Elf Uhr nachts, 1965), eine anarchische Bonny & Clyde-Variante, gewürzt mit Céline-Zitaten. In der Komödie „La chinoise“ (Die Chinesin, 1967) ironisierte der Maoist bürgerliche Studenten, die in Paris eine maoistische Kommune gründen und Schiffbruch erleiden. Als die Verbrechen des chinesischen Parteivorsitzenden an die Öffentlichkeit gelangten, verließ Godard seine ideologische Plattform, thematisierte die Unmöglichkeit von Liebe („Prénom Carmen“, Vorname Carmen, 1983) oder die Unerklärbarkeit der Existenz („Je vous salue, Marie“, Maria und Josef, 1985).

Godards lebenslange Auseinandersetzung mit Deutschland fand ihren Höhepunkt in „Allemagne neuf zéro“ (Deutschland Neu(n) Null, 1990). Der Titel ist eine Anspielung auf Rosselinis „Germania anno zero“ (Deutschland im Jahre Null, 1948). In „Allemagne neuf zéro“ streifen „Lemmy Caution“-Darsteller Eddie Constantine, Don Quijote und Sancho Pansa durch Mitteldeutschland, was sich zur Odyssee durch die (Geistes-) Geschichte ausweitet.

In den letzten Jahren zog sich Godard in sein Haus nahe bei Genf zurück. Seine ungebrochene Assoziationswut, zweifellos ein künstlerisches Potential, ließ ihn ebenso unsäglichen Unsinn kombinieren: Als Parteigänger der Palästinenser und – nach eigener Aussage – „Antizionist“, aber nicht „Antisemit“, behauptete er gegenüber Le Monde, daß „palästinensische Selbstmordattentäter, die in Israel ihre Anschläge begehen, um einen Staat zu gründen, nichts anderes tun als die sechs Millionen Juden, die in den Gaskammern vergast wurden – um ebenfalls mit ihrem Opfergang einen Staat zu gründen“. Sein Regiekollege Claude Lanzmann bezeichnete diese Gleichsetzung als „obszön“.

Sie kam erneut zur Diskussion, als Hollywood ihm in diesem Jahr den Ehrenoscar für sein Lebenswerk überreichen wollte. Godard blieb der Veranstaltung fern. „Kennen die überhaupt meine Filme?“ fauchte der Geehrte. „Ich habe kein Visum für die USA und ich will auch keines beantragen. Außerdem will ich nicht so lang fliegen.“ Schließlich sei der Oscar nur ein Stück Blech.

Das Prachtstück wurde ihm per Post zugesandt.

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