© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  49/10 03. Dezember 2010

Magazin ohne und gegen das Kapital
Jürgen Elsässer bringt „Compact“ auf den Markt
Ronald Gläser

Jürgen Elsässers Herz schlägt immer noch links. Das verrät er den Lesern seines neuen Magazins gleich auf der dritten Seite. Trotzdem läßt sich Compact schwer in das Rechts-Links-Schema einordnen. Elsässers neues Projekt ist vor allem gegen den Zeitgeist gerichtet.

Das Sarrazin-Buch hat vor drei Monaten einmal mehr verdeutlicht, wie sehr die öffentliche und die veröffentlichte Meinung in Deutschland auseinanderklaffen. Die etablierten Medienkonzerne drücken sich vor bestimmten Fragen und beschäftigen die Öffentlichkeit dafür mit Brot und Spielen. Compact dagegen erhebt den Anspruch, intellektuelle Verbotszonen zu betreten. „Die Tabus müssen fallen. Sonst stirbt dieses Land an intellektueller Austrocknung“, schreibt der Chefredakteur in seinem Editorial. Rechte und Linke sollen offen miteinander diskutieren können.

Kein Wunder, daß den Leser vom Titelbild der Nullnummer Thilo Sarrazin anlächelt. Die Schlagzeile „Der nächste Bundeskanzler?“ provoziert. Die Geschichte dazu verrät jedoch, daß Elsässer Sarrazins Thesen nicht verstanden hat oder nicht verstehen will: daß nämlich der ausufernde Sozialstaat schuld ist an der Verwahrlosung der Unterschicht in Deutschland. Elsässer ist und bleibt eben ein Linker. Deswegen dreht er sich Sarrazins Thesen solange zurecht, bis dieser das „Klasseninteresse des Proletariats“ vertritt.

Compact kommt mit einer Startauf- lage von 10.000 Stück auf den Markt.  Sollte der Verlag diese Auflage halten können, wäre die Zeitschrift lebensfähig. Normalerweise sinkt sie bei Neuerscheinungen aber nach der ersten Ausgabe. Erst ab Juni 2011 ist eine monatliche Erscheinungsweise vorgesehen.

In der jetzt erschienenen Nullnummer schreiben der liberale Verleger André Lichtschlag, der linke Historiker Hans-Ulrich Wehler und der konservative Publizist Martin Lohmann. Peter Scholl-Latour hat ein Interview gegeben.

Mit einem Aufsatz des zweitklassigen linksliberalen Fernsehmoderators Roger Willemsen ist Elsässer ein kleiner Coup gelungen. Die taz ist in Antifa-Manier über Compact hergefallen und hat noch vor Erscheinen eine halbe Distanzierung aus Willemsen herausgequetscht. Elsässer braucht es nicht weiter zu stören. Für ihn ist es wichtig, im Gespräch zu sein. „Allerdings opfert er langfristig sein Ansehen in linken Kreisen, wenn er gleichzeitig rechte und linke Autoren ins Diskussionsboot holt“, klagt ein Freund von Elsässer. Der bricht indes  mit alten Loyalitäten, auch um für neue Leser und Anhängergruppen interessant zu werden.

Auch wenn er auf prominente Autoren setzt: Elsässer allein ist die treibende Kraft bei Compact. Der 53jährige hat eine bewegte Biographie, ist von einem linksradikalen „Anti-Deutschen“ (so nannte sich ein Teil der linken Szene selbst) zum linksnationalen Globalisierungsgegner mutiert.

Sprachlich ist Elsässer sehr begabt. In seinem Verein „Volksinitiative“ ist er auch wegen seiner rhetorischen Fähigkeiten der intellektuelle Kopf und Anführer zugleich. Mit Vorgesetzten und Kollegen scheint er nicht ganz so gut klarzukommen, denn Elsässer hält es nie lange irgendwo aus: 1994 hängte der aus Baden stammende Gymnasiallehrer seinen Beruf an den Nagel und zog nach Berlin. Dort arbeitete er für verschiedene  linke Zeitschriften wie Konkret, Jungle World und Junge Welt – zeitweise auch in leitender Position. Zuletzt war er Redakteur beim Neuen Deutschland. Dort galt er als Sprachrohr Oskar Lafontaines. Anfang 2009 wechselte er zum kleinen Kai-Homilius-Verlag, für den Elsässer ein gewaltiges Arbeitspensum absolviert. In schneller Folge hat er in den zwei Jahren neue Bücher über politische Streitthemen herausgegeben, so beispielslweise ein ausgezeichnetes Buch über das „Erfolgsmodell Schweiz“. Ausgerechnet ein Linker, der diese „Steueroase“ in den Alpen in Schutz nimmt. Untypisch für einen Linken, aber typisch für Elsässer. Stets gegen den Strom und mit einem überraschenden Standpunkt. Typisch aber auch für ein Spaltprodukt.

Insgesamt ist Compact ein vielschichtiges Magazin. Einzig die israelkritische Linie ist ein roter Faden. Sie ist wohl auch dem Elsässer-Freund Andreas Rieger geschuldet, einem deutschen Islam-Konvertiten, der in Compact mitarbeitet.

Optisch ist das Heft hervorragend gestaltet. Keine Textwüsten wie in vielen Konkurrenzprodukten – dafür gute Fotos und eine gelungene Zusammenstellung. Compact hat formal alles, was ein modernes Magazin braucht. Die Frage ist, ob die Produktnische, in die sich Elsässer begeben hat, groß genug ist, um die Zeitschrift dauerhaft zu tragen.

Eine „schmale Kapitalbasis“ habe das Unternehmen, das gibt Elsässer offen zu. Er will den Verlag in eine GmbH überführen und sucht noch Gesellschafter. Schon ab 100 Euro ist eine Einlage möglich, schreibt er in seiner Nullnummer. Aber – typisch für Elsässer – er hat auch große Investoren im Blick. 250.000 Euro könnten es bitteschön auch sein.

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