© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/10 10. Dezember 2010

Innere Sicherheit
Freunde und Helfer
Wolfgang Ockenfels

Wir leben in Zeiten der Unsicherheit – soviel ist sicher. Das ist nicht bloß gefühlte Stimmungslage, sondern allgemein erfahrbare Wirklichkeit. Der können sich auch Linksintellektuelle nicht mehr entziehen – wie zu Zeiten, als sie „konservatives“ Sicherheitsbegehren als spießig-bürgerlich denunzierten. Die wohlstandsgesättigte, wohlfahrtsstaatlich abgesicherte und weithin risikofreie Lebensweise wird sich nicht mehr auf dem gewohnten Niveau halten lassen. Dann wird es wohl zu einer Radikalisierung der Verteilungskämpfe und des Protestverhaltens kommen.

In Zeiten der Unsicherheit erfreut sich die Polizei höchster Wertschätzung. Wenn sie uns auch bei Straßenverkehrskontrollen auf die Nerven gehen, möchten wir nicht auf unsere uniformierten Sicherheitsorgane verzichten. Wer sonst könnte uns vor wachsender Gewalt schützen, die öffentliche Ordnung bewahren und die Einhaltung der Gesetze überwachen? Die polizeilichen Freunde und Helfer haben ihr Ansehen erheblich gesteigert. Nach jüngsten Meinungsumfragen genießt die Polizei ein weitaus höheres Ansehen als Wirtschaft, Politik – und auch Kirche. Deren Repräsentanten müssen sich fragen, woher dieser dramatische Vertrauensschwund kommt.

Daß die Bevölkerung – von „Volk“ wagt man ja kaum noch zu reden – gerade der Polizei ihr größtes Vertrauen entgegenbringt, weist auf obrigkeitsstaatliche Bedürfnisse einer Gesellschaft hin, die von Krise zu Krise torkelt. Daß aus dieser Unsicherheit die Sehnsucht nach einer starken Führung mit aufrechtem Gang erwächst, die in die richtige Richtung vorangeht, verwundert nicht. Das aber ist kein Polizeiproblem.

Gewiß haben die jahrelang sich hinschleppenden Krisen auch moralische Ursachen, die auf religiöse Defizite verweisen. Die Moralprobleme wurden hauptsächlich bei den Eliten ausgemacht. Inzwi-schen hat sich die Moralkritik auf die Systemebene ausgedehnt. Denn auch die Ordnungen von Demokratie und Marktwirtschaft stehen verstärkt unter Beschuß. Da hilft auch keine Polizei mehr. Die Kirche wurde wegen der beklagenswerten Sexualdelikte kollektiv diskreditiert. Dabei sollte man von ihr erwarten dürfen, daß sie als Ordnungskraft wirkt. Und den Verantwortlichen ins Gewissen redet. Wenn es sein muß, sogar der Polizei.

 

Prof. Dr. Wolfgang Ockenfels ist Publizist und lehrt christliche Sozialethik an der Theologischen Fakultät in Trier

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