© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/10 10. Dezember 2010

„Ich möchte ein Zeichen setzen“
Er ist einer der prominentesten deutschen Mittelständler. Wolfgang Grupp will eine Debatte über Unternehmer-Verantwortung anstoßen.
Moritz Schwarz

Herr Grupp, „Trigema-Chef will persönlich haften“ titelten zahlreiche Medien jüngst im Wirtschaftsteil (siehe auch Seite 11). „Mit allem, was er hat“, schrieb ein Journalist anerkennend. Die „Welt am Sonntag“ kürte Sie dafür gar zum „Kopf der Woche“.

Grupp: Ich habe mich entschieden, meine Firma Trigema GmbH & Co. KG Ende des Jahres in die Trigema Inh. W. Grupp e.K. umzuwandeln. Damit wird aus einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung – also eine Rechtsform ohne eine natürliche Person, die haftet – eine Rechtsform, in der ich als „e.K.“, als „eingetragener Kaufmann“, die volle persönliche Haftung für alle Verbindlichkeiten, die das Unternehmen treffen, trage.

Warum tun Sie das?

Grupp: Meiner Meinung nach war das Prinzip der Haftung der Schlüssel zum Erfolg Deutschlands als einer aufstrebenden Wirtschaftsnation von Beginn an, bis hin zum Wirtschaftswunder nach 1945. Wir haben Deutschland als Wirtschaftsmacht von unseren Vätern und Großvätern geerbt, aber wir werden es so an unsere Kinder und Enkel nicht weitergeben können, weil wir dabei sind, es immer weiter herunterzuwirtschaften. Grund dafür ist, daß wir uns von der Haftung, und damit vom Prinzip der Verantwortung, verabschiedet haben. Mit der Folge, daß Größenwahn, Verantwortungslosigkeit und Gier um sich gegriffen haben und gesunde Unternehmen – in meiner Branche Steilmann, Schiesser oder Escada – gescheitert sind und die Steuerzahler die Zeche zahlen müssen. Das, ebenso wie die desaströsen Wirtschaftskrisen der letzten Jahre, hätte, würde das Prinzip der Haftung noch gelten, wohl weitgehend vermieden werden können.

Warum?

Grupp: Weil die Entscheidungen eines Unternehmers, der persönlich haftet, anders aussehen, als die einer Unternehmensführung, die für ihre Entscheidungen nicht geradestehen muß. Wer weiß, daß es ihm zuerst an den Kragen geht, wird sich doch anders verhalten als jemand, der sich sicher sein kann, den Kopf in jedem Fall noch aus der Schlinge ziehen zu können. Die Situation heute ist die: Je weitreichender meine Entscheidungen, desto höher meine Gewinnaussichten, desto höher aber auch die Risiken – und wenn es dann wieder mal schiefgeht, tragen andere die Folgen, während ich noch Boni einstreiche. Mit diesem System erziehen wir die Leute regelrecht zu Verantwortungslosigkeit, Egoismus und Größenwahn. Damit muß Schluß sein!

Also handelt es sich bei Ihrem Schritt nicht um eine wirtschaftliche Entscheidung – Sie wollen ein Zeichen setzen.

Grupp: Ganz genau, ich würde mir wünschen, daß dadurch auch andere aufmerksam werden – sowohl Politiker als auch Medien und wir eine breite öffentliche Debatte über das Thema anstoßen können.

Sie hatten bereits im Jahr 2000 Trigema in ein Unternehmen mit persönlicher Haftung umgewandelt, dies aber 2003 wieder rückgängig gemacht. Warum?

Grupp: Dafür hatte ich genau die gleichen Gründe wie heute, nur hat damals  meine Maßnahme absolut keine Resonanz hervorgerufen, so daß ich aus Protest gegen das Desinteresse an dem Thema den Schritt 2003 wieder rückgängig gemacht habe. Aber auch dieser erneute Versuch, meine Kritik auszudrücken, wurde nicht beachtet.

Warum glauben Sie, daß eine Wiederholung nun mehr Aufmerksamkeit erfährt?

Grupp: Ich bin ja schon überrascht, daß bereits die bloße Ankündigung des Schrittes diesmal über vierzig Artikel in den Medien provoziert hat! Und auf der anschließenden Pressekonferenz hatten wir volles Haus. Das zeigt, daß das Thema heute viel mehr Leute interessiert. Auch die Medien haben erkannt, daß die Mehrheit der Menschen dies befürwortet.

Wie realistisch ist es, daß Sie tatsächlich etwas bewirken?

Grupp: Tja, das weiß ich nicht ... Ich will mich nicht überschätzen. Ich bin natürlich nur ein kleiner Unternehmer und bilde mir nicht unbedingt ein, daß ich die Politik beeinflussen kann. Aber ich habe es wenigstens versucht, ich habe ein Zeichen gesetzt, ich habe getan, was ich tun konnte.

Sie erwarten, daß andere Unternehmer Ihrem Vorbild folgen?

Grupp: Nein, ich erwarte von der Politik, daß sie diejenigen, die persönlich haften, auch steuerlich bevorzugt. Die Politik muß endlich einen rechtlichen Rahmen schaffen: Entscheidungsträger, die bereit sind zu haften, müssen bei der Einkommenssteuer anders behandelt werden als die, die dazu nicht bereit sind. So gäbe es einen Anreiz, Verantwortung zu zeigen. Ich fordere also keine Märtyrer, sondern ein System, das es vernünftig macht, sich verantwortungsbewußt zu verhalten. Wir subventionieren doch auch Solarenergie, warum also nicht auch Verantwortung? Ein Unternehmer, der sich umweltfreundlich verhält, bekommt Vergütungen, einer der sich ethisch verhält nicht. Das ist doch absurd. Zumal im Gegensatz zur Solartechnik verantwortungsbewußte Unternehmensführung keine Verluste bringt, im Gegenteil. 

Ihre Kritiker fragen sich, ob es Ihnen nicht eher um Marketing geht, schließlich können Sie jederzeit zurückwandeln.

Grupp: Das könnte ich, habe ich aber nicht vor. Sicher, bevor ich von einem Abzocker über den Löffel balbiert werde, würde ich lieber mein Unternehmern schützen, das gebietet die Vernunft und die Verantwortung vor meinen Mitarbeitern – aber das steht ja gar nicht in Aussicht. Jedenfalls ist es nicht so, daß ich heute um der Presseaufmerksamkeit willen wandle und morgen alles still und leise wieder rückgängig mache. Schließlich will ich ein Zeichen setzen und nicht mich wichtig machen.

Was genau mancher Ihnen aber unterstellt.

Grupp: Ich weiß, wenn sie versuchen, etwas Gutes und Konstruktives zu tun, gibt es immer so und so viele, die Ihnen nachsagen, sie seien nur ein Wichtigtuer und Selbstdarsteller. Damit muß man eben leben.

Aber immerhin gehen Sie doch kein echtes Risiko ein, denn sollte Trigema doch einmal Probleme bekommen, können Sie immer noch zurückwandeln.

Grupp: Falsch, denn wenn man Probleme hat und damit Schulden, dann ist eine Umwandlung nicht mehr so einfach möglich, da die Banken angesichts der Schulden einen nicht mehr einfach aus der Haftung entlassen würden.

Die „Welt“ schreibt, Anlaß für Ihren Schritt sei der Vorwurf gewesen, „Wasser zu predigen und Wein zu trinken“, also Haftung zu fordern und selbst eine GmbH zu sein. Das habe Sie „gewurmt“, wie Sie zugegeben haben sollen. 

Grupp: Natürlich hat es mich das, denn der Vorwurf war nur formal gerechtfertigt. Tatsächlich nämlich hat sich mein Privatvermögen nie außerhalb der GmbH befunden: De facto habe ich also schon immer gehaftet. 

Das heißt, eigentlich ändert sich nichts?

Grupp: Im Grunde nicht, aber um genau diesem formalistischen Vorwurf begegnen zu können und um für das Problem, das mir so sehr am Herzen liegt, Aufmerksamkeit zu erregen, habe ich mich jetzt entschlossen, auch formal zu vollziehen, was im Grunde schon immer der Fall war: persönliche Haftung für alle meine Entscheidungen.

Macht Haftung den Unternehmer tugendhaft?

Grupp: Automatisch, weil es ihn zwingt,  schon aus Selbstschutz ethisch zu handeln. Und für mich ist Tugend durchaus nichts Altbackenes, sondern etwas Allgemeinmenschliches, das wir wiederentdecken müssen. Sie können doch überall beobachten, daß die Leute regelrecht nach einer Rückkehr der Werte lechzen. Denn mit deren Mißachtung machen wir uns letztlich nur gegenseitig unglücklich.

Dann macht Haftung letztlich die ganze Gesellschaft tugendhafter?

Grupp: Auf jeden Fall. Verantwortung ist ein Prinzip, das nicht nur im Wirschaftsleben fehlt, sondern in der ganzen Gesellschaft. Familie, Staat, Politik, Medien, überall. Wenn Frau von der Leyen vom Problem der 860.000 Alleinerziehenden spricht, dann frage ich mich, warum redet keiner von den 860.000 Partnern dazu? Denn Verantwortung fängt immer bei mir selbst an. Wenn mein Kind in der Schule Probleme macht, dann ist das mein Problem und nicht das des Lehrers oder der Gesellschaft.

Dann müßten Sie nicht nur die Wirtschaftspolitik, sondern auch die Gesellschaftspolitik der schwarz-gelben Koalition kritisieren.

Grupp: Ich sehe das nicht als ein Problem bestimmter Parteien, nicht einmal speziell der Politik, sondern als ein Problem der gesamten Gesellschaft.

Die Politik gibt der Gesellschaft den Rahmen.

Grupp: Kein Zweifel, und ich will die Politik ja auch nicht von meiner Kritik ausnehmen. Wenn ein Politiker sich schon mit seiner neuen Freundin in der Öffentlichkeit zeigt, bevor er geschieden ist, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn etwa die Familie verfällt. Natürlich brauchen wir auch in der Politik eine gewisse Disziplin, Ordnung und Vorbilder. Schließlich gilt, je höher einer steht, desto mehr Vorbildfunktion hat er. Aber hier hat das Problem nicht seine Wurzel.

Sondern?

Grupp: Ich glaube, die Erosion kommt von ganz unten: aus der Erosion der Familie. Früher hatte jemand, der eine Familie gründete, auch eine Verantwortung. Heute ist das egal, alle haben diesbezüglich gleiche Rechte, ob verheiratet oder nicht. Ich meine, gleichgültig ob sie eine Verantwortung übernehmen oder nicht: Jeder kann machen, was er will! Und die Allgemeinheit kommt dann für die Folgen auf. Wenn das aber so weitergeht, dann geht es auch weiter bergab mit uns. Denn die Werte kommen aus intakten Familien, weil sie in der Familie vermittelt werden: Vater und Mutter sind Vorbilder für die Kinder. Was wir brauchen ist die Rückkehr zur echten Familie, also Vater, Mutter, Kind, die folglich von der Politik auch anders behandelt werden müßte. Deshalb bin ich auch ein Gegner davon, die Kinder so früh wie möglich in Horte und Krippen zu geben. Sicher, manchmal mag es nicht anders möglich sein, aber generell kann das nicht Ziel verantwortungsbewußter Politik sein. Das Kind gehört zur Mutter! 

Fehlt Ihrer Kritik nicht die entscheidende Spitze, wenn Sie die politische Verantwortung für die von Ihnen genannten Mißstände nicht klar benennen?

Grupp: Zum Beispiel?

Zum Beispiel müßten Sie doch nach allem, was Sie sagen, von einem klaren Versagen der CDU sprechen und diese gezielt angreifen?

Grupp: Das können Sie jetzt so auslegen, und ich würde dem auch gar nicht widersprechen. Aber persönlich unterscheide ich nicht nach Parteien. Denken Sie etwa, daß ich mit meiner Forderung nach einem Mindestlohn mitunter sogar Übereinstimmung mit der Linken habe. Und meine Forderung nach Werten und Familie gilt für jede Partei, egal ob rechts oder links.

Sind allgemeine Appelle an „die Politik“ nicht unpolitisch, weil sie zu stumpf sind, um je etwas zu bewirken?

Grupp: Was wollen Sie von mir – daß ich eine Partei gründe? Nein, ich bin kein Politiker, ich bin Unternehmer.

Wenn es sonst keiner tut ...

Grupp: Nein, umsetzen müßte eine solche Politik zuerst die CDU beziehungsweise die FDP, und wenn SPD, die Grünen und Linken vernünftig sind, werden sie nichts dagegen unternehmen. Denn Verantwortung müßte die Basis einer jeden Partei sein.

Dennoch passiert fast nichts ... wir sind also an einem toten Punkt.

Grupp: Die CDU hat ja erkannt, daß sie ihre konservative Seite zu sehr vernachlässigt hat, die FDP hat realisiert, welchen Schiffbruch sie erlitten hat. Ich kann mir nicht vorstellen, daß da nicht junge Kräfte kommen, die daraus einmal Konsequenzen ziehen. In diesem Sinne muß es zu einem Umdenken kommen – sonst könnte tatsächlich jemand, wer auch immer, diese konservativen Werte übernehmen und damit an den anderen vorbei auf die Zielgerade gehen.

 

Wolfgang Grupp, der Chef der Textilfirma Trigema ist bekannt durch seine zahlreichen Medien-Auftritte und für sein klares Bekenntnis zum heimatlichen Wirtschaftsstandort: Trigema produziert ausschließlich in Deutschland. Grupp, Enkel des Firmengründers Josef Mayer, besuchte ein Jesuitenkolleg und übernahm das Unternehmen, das er aus den roten Zahlen holte, nach seinem Wirtschaftsstudium 1969. Südlich von Stuttgart, in Burladingen auf der Schwäbischen Alb, kam er 1942 auf die Welt. Dort wurde die Firma 1919 als „Trikotwarenfabrik Gebrüder Mayer“ – kurz Trigema (Logo rechts) – gegründet. Heute beschäftigt der Vorzeigebetrieb rund 1.200 Mitarbeiter an drei Standorten in Deutschland. Seine Produkte verkauft das Haus über den Einzelhandel, eigene sogenannte „Test-Filialen“ und den Trigema-Onlineshop. 2005 erhielt Wolfgang Grupp den Cicero-Rednerpreis in der Kategorie Wirtschaft für sein rhetorisches Engagement für Deutschland. www.trigema.de

Foto: Musterunternehmer Grupp: „Ich fordere ein System, das es vernünftig macht, verantwortungsbewußt zu handeln: Ein Unternehmer, der sich umweltfreundlich verhält, bekommt steuerliche Vergütungen, ein Unternehmer, der sich ethisch verhält, dagegen nicht – das ist absurd.“

 

weitere Interview-Partner der JF

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen