© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/10 10. Dezember 2010

Arye Sharuz Shalicar. Der Publizist lebte als Jude unerkannt unter Berliner Moslems.
Das Kuckucksei
Ansgar Lange

Der aktuelle Fall des in Deutschland geborenen Sprechers der israelischen Armee ist ein Lehrstück darüber, was wir jahrelang verdrängt haben: Ganz im Banne unserer „Vergangenheitsbewältigung“, nimmt man in Deutschland den importierten Antijudaismus türkischer und arabischer Einwanderer nicht zur Kenntnis. Dieser wird, ebenso wie Ausländerfeindlichkeit, klar den „Rechten“ oder Neonazis zugeordnet. Daß Ausländer – oder neudeutsch „Migranten“ – judenfeindlich sein können, paßt nicht ins Weltbild.

In seinem jüngst bei dtv erschienenen Buch „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“ macht Arye Sharuz Shalicar, als Sohn iranischer Juden in Berlin auf die Welt gekommen, deutlich, daß es in Deutschlands Parallelgesellschaften lebensgefährlich sein kann, einen Davidstern zu tragen. Einen solchen hatte der fußballverrückte Junge aus dem Stadtteil Wedding, der aufgrund seiner persischen Herkunft bei den muslimischen Freunden unerkannt als einer der Ihren durchging, nämlich von seinen Großeltern geschenkt bekommen – und fortan war die Akzeptanz bei den muslimischen Kumpels dahin.

Um dennoch im Dschungel der Großstadt und der Berliner Gangs zu überleben, wurde Shalicar unter dem Schutz eines kurdischen Freundes selbst ein „Gangsta“ und ein Sprayer. Gewalt, Schlägereien und Drogenhandel gehörten zum Alltag.

Shalicar hat sich aus diesem Morast befreit. Ein Messer hätte genausogut das Leben des als „Scheiß-“ und „Drecksjuden“ titulierten jungen Mannes beenden können. Doch aus dem areligiösen Berliner Jungen ist ein gläubiger Jude geworden, der 2001 nach Israel auswanderte. Nach dem Abitur diente er allerdings zunächst bei der Bundeswehr und nahm ein Studium an der FU Berlin auf. Doch offenbar hat ihm dies alles weder Heimat noch Identität gegeben, sonst hätte er sich nicht in ein von Terror bedrohtes Land verabschiedet.

In Israel machte Shalicar eine Traumkarriere. Er studierte Internationale Beziehungen, Nahostgeschichte und Politik, arbeitete für die „Jewish Agency for Israel“ und das Nahost-Studio der ARD in Tel Aviv und dient seit Oktober 2009 als Pressesprecher der israelischen Streitkräfte.

Wie so viele andere Einwanderer auch hat sich Shalicar in Deutschland nicht „zugehörig gefühlt“. Dabei hält er nicht allein die Beherrschung der deutschen Sprache für die zentrale Voraussetzung, um zu verhindern, daß Parallelgesellschaften entstehen. Wichtiger sei es, daß Zuwanderer sich ihrer eigenen Identität bewußt werden und sich nicht mehr so fühlten, als säßen sie zwischen allen Stühlen. Konkret bemängelt Shalicar, daß der deutsche Staat sich nie wirklich dafür interessiert hat, wie es etwa im Wedding zugeht. Einseitig habe er auf die Wohltaten des Sozialstaates gesetzt, aber den jungen Neu-Deutschen keine Leitkultur angeboten.

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