© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/10 10. Dezember 2010

Ein blutiger Tag im April
Afghanistan: Das Gefecht in Isa Khel, bei dem am Karfreitag drei Soldaten starben, ist ein Wendepunkt in der Geschichte der Bundeswehr
Marcus Schmidt

Die Bilder sind nicht für das Familienalbum gedacht, sie zielen auf den Feind. Die Fotos der triumphierenden Taliban-Kämpfer, die sich am Karfreitag dieses Jahres in dem afghanischen Dorf Isa Khel vor einem brennenden Bundeswehr-Fahrzeug in Pose setzten, sprechen eine deutliche Sprache: Wir können euch besiegen.

Das Gefecht in dem afghanischen Dorf Isa Khel in der Nähe von Kundus, das mit einer Niederlage für die Bundeswehr endete, war eines von vielen in dem endlos scheinenden Konflikt am Hindukusch. Und doch zeichnet sich immer deutlicher ab, daß das Karfreitaggefecht einen Wendepunkt in der Geschichte der Bundeswehr darstellt. Die Kämpfe von Isa Khel haben aus dem Afghanistaneinsatz der Bundeswehr endgültig einen Krieg gemacht. Und aus der Bundeswehr eine andere Armee. Nach diesem Tag sprach Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) erstmals offen von Krieg: „Was wir am Karfreitag bei Kundus erleben mußten, das bezeichnen die meisten verständlicherweise als Krieg. Ich auch“, sagte er bei der Trauerfeier für die drei bei Isa Khel gefallenen Fallschirmjäger im niedersächsischen Seedorf.

Seitdem druckten zahlreiche Regionalzeitungen Erlebnisberichte von Soldaten aus ihrer Region ab, die in Isa Khel dabei waren. Die Zeitschriften der Bundeswehr wie das Magazin Y oder das Reservistenblatt Loyal sind voll mit Hintergrundgeschichten und Erlebnisberichten zum Karfreitagsgefecht. Es war wohl nicht einma die Zahl der Gefallenen und Verwundeten, die die Bundeswehr so verunsichert, so aufgewühlt hat, sondern die neue Intensität der Kämpfe, die sich deutlich von den bisherigen Sprengstoffanschlägen oder Feuergefechten abhoben, und bei denen ein Spähtrupp kurz davor stand, aufgerieben zu werden. Wenn Generalinspekteur Volker Wieker hölzern von einem „sehr komplexen, zeitlich und räumlich koordinierten Angriff“ spricht, klingt Überraschung mit.

Guttenberg schilderte in der vergange Woche bei der Auszeichnung von Soldaten, die an den Kämpfen beteiligt waren, detailliert wie selten zuvor das Gefecht im Norden Afghanistans, das er er als eines der intensivsten in der Geschichte der Bundeswehr charakterisierte (JF 49/10). Am 2. April 2010 wird gegen 13 Uhr Ortszeit eine Patrouille der Bundeswehr rund fünf Kilometer westlich des Feldlagers Kundus von Taliban angegriffen. Der Führer des Spähtrupps des „Golf“-Zuges der 1. Infanteriekompanie des Regionalen Wiederaufbauteams Kundus wird gleich zu Beginn verwundet, sein Trupp von Aufständischen eingeschlossen. Während seine Kameraden dem verwundeten Spähtruppführer Deckungsfeuer geben, gelingt es dem Stabsgefreiten Maik Mutsche unter ständigem Feindfeuer 300 Meter durch die Ortschaft zurückzulegen und Verbindung mit den eigenen Truppen herzustellen.

„Erst damit war die entscheidende Grundlage gegeben, daß die Entsatzkräfte zu dem Spähtrupp vorstoßen konnten“, würdigt Guttenberg die „hervorragende Einzeltat“ des mit dem Ehrenkreuz für Tapferkeit ausgezeichneten Fallschirmjägers. Der Verteidigungsminister macht deutlich, wie dramatisch die Lage für den Spähtrupp war: Als die Entsatzkräfte ihre eingeschlossenen Kameraden erreichten, hatten sich die Taliban bereits auf 50 Meter herangekämpft. Es habe „das Überrennen der Restteile des Spähtrupps, einschließlich des verwundeten Kameraden, durch Feindkräfte“ gedroht.

Der Zugführer des Golf-Zuges, Hauptfeldwebel Mario Kundert, stößt unterdessen mit vier Kameraden vor, um Verbindung zum Spähtrupp aufzunehmen. Auch Kundert wird von Guttenberg für seine Tapferkeit ausgezeichnet. „Durch Ihre straffe Führung und Ihren energischen Vorstoß konnte verhindert werden, daß sich Aufständische dem verwundeten Spähtruppführer nähern und ihn töten oder gefangennehmen konnten“, würdigte Guttenberg Kundert. An dessen Seite bei der Bergung des verwundeten Spähtruppführers ist Hauptfeldwebel Nils Bruns. Er bekämpfte in deckungsarmem Gelände mehrere Aufständische, die sich dem verwundeten Soldaten genähert hatten“, berichtet Guttenberg.

 Ein Stabsgefreiter, der ebenfalls am Entsatz des Spähtrupps beteiligt war, schildert im Bundeswehrmagazin Y eindringlich seine Erlebnisse. „Auf einmal ging‘s richtig los. Wir wurden mit allem beschossen. (...) Uns flogen die Kugeln nur so um die Ohren. Wir haben sofort mit allem was wir hatten zurückgefeuert. Gleichzeitig bin ich mit drei Kameraden los, nach vorn, um meine Kameraden da aus der Scheiße zu holen“, berichtet der Soldat, dem das Magazin den Namen „Dennis Güllner“ gibt. Anderthalb Stunden brauchen er und seine Kameraden, um unter Feindfeuer ständig Deckung suchend, sich zu den eingeschlossenen Kameraden vorzukämpfen. Güllner stößt dabei auf den ersten Verwundeten, den Stabsgefreiten Robert Hartert. „Der lag da am Boden, bleich, Augen verdreht und zitterte“, beschreibt er die Szene. Hartert, der in dem Gefecht als Maschinengewehrschütze kämpft, ist tödlich getroffen. Er habe bis zu seiner Verwundung in vorderster Linie außergewöhnlich tapfer gekämpft, beschreibt Guttenberg seine Leistung. „Immer wieder und ohne nachzulassen hat er durch seine selbständige Feuerunterstützung wesentlich dazu beigetragen, daß es gelang, einen verwundeten Kameraden aus einer sehr schwierigen Lage zu bergen.“

 Als die Verwundeten schließlich geborgen sind und sich die Bundeswehr zurückzieht, wird ein geschütztes Fahrzeug vom Typ Dingo des Golf-Zuges von einem ferngezündeten Sprengsatz „angesprengt“. Hauptfeldwebel Bruns und der Hauptgefreite Martin Augustyniak sterben.  Augustyniak war zu diesem Zeitpunkt in dem Gefecht bereits zweimal verwundet worden. Dennoch gab er dem Dingo, dessen Maschinengewehr zerstört war, mit seinem Gewehr und der Panzerfaust Feuerschutz. Zuvor hatte der Hauptgefreite nach der Schilderung des Verteidigungsministers bei der Bergung des verwundeten Spähtruppführers „durch sein außergewöhnlich tapferes Verhalten, seinen Mut und seine Standfestigkeit“ einen wesentlichen Anteil.

Nach dem Anschlag auf den Dingo zeigt der Führer des herbeigeeilten Charlie-Zuges, Hauptfeldwebel Philipp Pordzik, „in der äußerst schwierigen Lage Nervenstärke, Besonnenheit und außergewöhnlichen Mut“, schildert Guttenberg die Verdienste des ebenfalls mit dem Tapferkeitskreuz ausgezeichneten Soldaten. Dieser habe unter heftigem gezielten Feindfeuer abgesessen und unter Einsatz des eigenen Lebens durch entschlossenes Handeln und vorbildliche Führung seiner Soldaten dafür gesorgt, daß die Rettung der verwundeten Soldaten erfolgen konnte.

Am Ende des Gefechts zählte die Bundeswehr drei Gefallene und acht Verwundete.  Neben den Toten war das Wrack des Dingo, das beim Rückzug von der Bundeswehr gesprengt und zurückgelassen werden mußte, das sichtbarste Zeichen für die Niederlage. Für die Taliban war das brennende Fahrzeug das Zeichen ihres Sieges. Während die „mentalen“ Veränderungen der Bundeswehr erst langsam Raum greifen, hatte der Karfreitag ganz praktische Auswirkungen auf die Ausrüstung. Guttenberg ließ die Zahl der Marder-Schützenpanzer auf zwanzig verdoppeln und verlegte zudem drei Panzerhaubitzen nach Afghanistan. Die Kampferfahrungen, die Eindrücke von Tod,  Verwundung und Verstümmelung bringen unterdessen in der Truppe ihre eigenen Rituale hervor. Der Stabsgefreite Güllner etwa hat sich das Datum des Gefechts von Isa Khel auf den Rücken tätowieren lassen, um das Geschehen zu verarbeiten. Dazu in Frakturschrift die Worte: „In Ehrfurcht unsterblich“.

Während der Ende Oktober gestarteten Operation „Halmazag“ (Blitz) rücken deutsche Einheiten gemeinsam mit Amerikanern, Belgiern und Afghanen wieder nach Isa Khel vor und bergen das Wrack des Dingos. An dem Wrack brachten die deutschen Soldaten ein Plakat an. „Treue um Treue – Nils Bruns, Robert Hartert, Martin Augustyniak“, berichtet Loyal. Das Foto sei nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen, mit ihm sollen die Gefallenen „gerächt“ werden.

Fotos: Talibankämpfer posieren am 2. April in dem afghanischen Dorf Isa Khel vor einem brennenden Dingo der Bundeswehr: Ein „komplexer, zeitlich und räumlich koordinierter Angriff“, Seit Dezember 2001 sind Einheiten der Bundeswehr in Afghanistan stationiert. Die Obergrenze der Zahl deutscher Soldaten am Hindukusch ist seitdem vom Bundestag kontinuierlich von zunächst 1.200 auf derzeit 5.350 Soldaten  angehoben worden.

Die Bundeswehr, die unter anderem über Schützenpanzer vom Typ Marder, drei  Panzerhaubitzen 2000 und rund 1.070 geschützte Fahrzeuge verfügt, ist vor allem für die Nordregion des Landes verantwortlich und stellt seit Juni 2008 zudem die „Quick Reaction Force“ als schnelle Eingreiftruppe des Kommandeurs der Nordregion.

Daneben arbeitet die Bundeswehr auch beim Aufbau der afghanischen Armee und der einheimischen Polizei mit. Hierfür sind zusätzlich zu den Bundeswehrsoldaten derzeit rund 200 deutsche Polizisten als Ausbilder in Afghanistan stationiert., Die drei Gefallenen des 2. April werden von ihren Kameraden aus der KIrche von Seedorf getragen: „In Ehrfurcht unsterblich“

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