© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/10 10. Dezember 2010

Unbotmäßige Deutsche
Polen: Premierminister Tusk wendet Skandalkoalition ab / Deutsche Minderheit bleibt doch in Oppelner Regierung
Bernd G. Hierholzer

Dramatische Stunden in Oberschlesien. Erst jetzt wurde bekannt: Nur 24 Stunden nach der Sejm-Wahl in der oberschlesischen Woiwodschaft Oppeln stand bereits die Koalition der nationalliberalen Bürgerplattform PO mit der Bauernpartei PSL und der sozialdemokratischen SLD. Die bisherige Koalition mit der deutschen Minderheit, eine politische Erfolgsgeschichte, wurde über Nacht und ohne Vorwarnung gekippt.

 Der Skandal schlug wie eine Bombe ein. Die deutschen Abgeordneten zeigten sich völlig überrascht. Auch die PO-Europaabgeordnete Danuta Jazlowiecka kritisierte den Ausschluß der Deutschen ganz offen als „Fehler“ der Parteifreunde.

Die Minderheit hatte nach der PO immerhin das zweitbeste Ergebnis (17,8 Prozent) eingefahren. Die Oppelner PO erklärte den überraschenden Wechsel der Koalitionspartner vage mit Mißbrauch des Minderheitenstatus durch die Deutschen. Dies war von den Vertretern der Minderheit zurückgewiesen worden. Die deutsche Minderheit in der Region steht unter besonderer Beobachtung und Förderung durch die Bundesregierung, deutsche Touristen sind in der Region zudem ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

Nachdem die Bombe geplatzt war, intervenierte der deutsche Sejm-Abgeordnete Ryszard Galla in der Warschauer PO-Zentrale. Mit Erfolg: PO-Chef und Premierminister Donald Tusk legt Wert auf beste Beziehungen zu Berlin und verbot einen Ausschluß der Deutschen aus der Regionalregierung. Die Oppelner PO-Fraktion um Leszek Korzeniowski und Marschall Jozef Sebesta mußte die Entscheidung zurücknehmen. Nun droht eine schwierige Vierer-Koalition, denn die PO mochte auch die Vereinbarung mit PSL und SLD nicht zurücknehmen.

 „Ich freue mich, daß sich die PO anders entschieden hat“, betonte Galla. Dennoch sehen Experten die Minderheit benachteiligt. Die PO stellt zwar als stärkste Fraktion den Marschall. Keiner der beiden Stellvertreterposten geht allerdings dem Proporz entsprechend an die Deutschen. Andrzej Kasiura, der auch bisher Mitglied der Regierung war, soll zwar Beisitzer bleiben. Der bisherige deutsche Vizemarschall Jozef Kotys bleibt nun aber entmachtet. Er hatte unter allen Kandidaten die meisten Stimmen bei den Parlamentswahlen auf sich vereint. Kotys gilt als äußerst agiler Politiker und Strippenzieher. Sein herausragendes Wahlergebnis spricht für ihn. „Zuviel Ausstrahlungskraft für die um die gleiche Wählerklientel buhlende PO“, wie ein Wahlbeobachter meint. „Eine Kompromiß-Koalition mit Geschmäckle.“ So zeigt die Regierung im Oppelner Schlesien schon jetzt Risse.

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