© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/10 10. Dezember 2010

Innere Unruhe
Vorläufer der Moderne: Gustave Courbet in der Frankfurter Schirn
Claus-M. Wolfschlag

Gustave Courbet war ein durchaus politisch engagierter Künstler, doch er schuf keine politische Kunst. Ein überzeugter Republikaner der politischen Linken des 19. Jahrhunderts, befinden sich die Gemälde und Zeichnungen, die derzeit in der Frankfurter Kunsthalle Schirn zu betrachten sind, Lichtjahre entfernt von späteren Agitationsbildern des 20. Jahrhunderts.

1819 in der Franche-Comté in gutbürgerlichen Verhältnissen geboren, studierte Courbet Malerei in Paris und engagierte sich frühzeitig in republikanischen Kreisen. Während der Februarrevolution 1848 entwarf er die Vignette „Die Barrikade“. Courbet war sicherlich ein Rebell, ein Heißsporn. Als einige seiner Bilder 1855 von der Jury der Weltausstellung abgelehnt wurden, veranstaltete er eine eigene Schau. Mehrfach hielt er sich in Frankfurt am Main auf und sorgte dort Mitte des 19. Jahrhunderts für kulturpolitische Diskussionen. Während des Deutsch-Französischen Krieges wird Courbet zum Delegierten der Schönen Künste in der Pariser Kommune ernannt. Dabei engagierte er sich als Pazifist und appellierte ohne Ressentiment an die deutsche Armee und Kunstwelt. Maßgeblich war er an der Zerstörung der Pariser Vendôme-Säule beteiligt, die die Napoleonischen Kriege ehrte. Dieser Umstand führte zu seiner folgenden Ächtung im Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Zu Schadensersatz verurteilt verstarb er 1877 im Schweizer Exil.

Der von Courbet vertretene „Realismus“ wandte sich bereits vor dem Impressionismus vom akademischen Sujet der Antike-Rezeption und Historienmalerei ab. In stilistischer Anlehnung an die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts zeigen seine Bilder neben Landschaftsszenerien das einfache Volk: Bauern, vom Markt zurückkehrend, wandernde Zigeuner, dem Müßiggang nachgehende junge Mädchen an der sommerlichen Seine. Hinzu kommen zahlreiche naturalistische Porträts, teils bekannter künstlerischer Größen seiner Zeit.

Die Frankfurter Schau legt das Augenmerk vor allem auf die Rolle Courbets als Vorläufer der Moderne. So gelten seine sprunghaften Farbspiele und der bisweilen grobe Farbauftrag mit breitem Pinsel, Spachtel und Messer als sanfte Vorwegnahme späterer expressionistischer Experimente.

Zudem bringt die Ausstellung Courbet als Träumer und Suchenden nahe. Selbstporträts als Verzweifelter, die Auseinandersetzung mit verflossenen Liebschaften und der häufige stilistische Wechsel zeugen von dieser inneren Unruhe. Mal fein, mal grob führte er den Pinsel, von altmeisterlich-dramatisch bis beinahe zur Schattenlosigkeit fällt das Licht. Plastizität und Flächigkeit, Perfektion und seltsame Proportionsunstimmigkeiten oder Körperhaltungen wechseln einander ab. Dem Betrachter begegnet eine Vielfalt an Versuchen – gelungenen wie gescheiterten.

Die Ausstellung ist bis zum 30. Januar in der Frankfurter Kunsthalle Schirn, Römerberg, täglich  außer montags 10 bis 19 Uhr, Mi./Do. bis 22 Uhr, zu sehen. Tel: 069 / 29 98 82-0  www.schirn.de

Foto: Gustave Courbet, Selbstbildnis als Verzweifelter (1844/45): Französischer Vertreter des Realismus

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