© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/10 10. Dezember 2010

Der Ständestaat als möglicher Dritter Weg
Sebastian Maaß hat mit dem Nationalökonomen Othmar Spann einen dritten Vertreter aus dem Ideenkreis der Konservativen Revolution porträtiert
Wolfgang Saur

Der junge Historiker und Politologe Sebastian Maaß verfolgt das ehrgeizige Projekt, eine Galerie von Denkern aus dem Ideenkreis der Konservativen Revolution zu gestalten. Nach Monographien zu Edgar J. Jung 2009 (JF 10/10) und Moeller van den Bruck 2010 (JF 22/10) widmet er nun den dritten Band Othmar Spann, Wilhelm Stapel soll folgen. Nach Umfang, Format, ansprechender Ausstattung und Systematik schließt sich dieser nahtlos den vorigen an. Vom aktuellen Forschungsstand aus verfaßt Maaß eine gehaltvolle Einführung für einen weiten Leserkreis. Betritt er auch nicht eigentliches Neuland, so wertet er die Literatur doch umsichtig aus und resümiert konzise. Dabei gelingt ihm ein außerordentlich lesbarer Text, der das gewichtige Thema ansprechend erschließt. Dies ermöglicht eine Verständigung über den hierzulande vergessenen Spann, der postum nur in Österreich gewirkt hat. Dort leben noch würdige Staathalter seines Denkens, so Hanns Pichler und Friedrich Romig. Beide betreuten die vorliegende Arbeit. Jener hat sie eingeleitet, was sie zusätzlich beglaubigt.

Die zuletzt vorgelegten Bände fanden teils kritische Aufnahme: Der Autor, hieß es, vertiefe die Forschung nicht, walze sattsam Bekanntes nur aus. Dem ist entgegenzuhalten: Mit Spezialliteratur überschwemmt sind wir genug. Dagegen fehlen informierte, auch sprachlich handliche Arbeiten einer soliden, mittleren Linie. Zumal die biographischen Reihen der deutschen Großverlage zur Ideengeschichte der Weimarer Republik nichts anbieten.

Um so begrüßenswerter die Entscheidung des Verlegers. Speziell im aktuellen Fall, gehört Othmar Spann (1878–1950) als (neo-)metaphysischer Systemphilosoph doch zur großen Theoriegeschichte. Die freilich behandelt ihn stiefmütterlich. Die Vorherrschaft (sprach-)analytischer und pragmatischer Modelle im angelsächsischen Bereich, die Dominanz dekonstruktiver Lehren auf dem Kontinent, nicht zuletzt die Diskursethik à la Habermas, kurz: das antimetaphysische Klima der Gegenwart ist Othmar Spann nicht günstig. Daß heute selbst bei den Konservativen „nominalistische Ansätze“ Konjunktur haben, die sich „mit dem nüchternen Blick auf die unmittelbaren Realitäten zufriedengeben“ (Maaß), macht die Ablehnung komplett.

Nach biographischen Abschnitten werden nun „Philosophie und Religion als Grundlagen der Ganzheitslehre“ anhand von Spanns Kategorien erörtert und der „Aufbau des organischen Staatswesens“ rekonstruiert. In diesem politologischen Teil bilden Spanns Grundpolarität: Individualismus versus Universalismus und seine Hauptschrift vom „Wahren Staat“, schließlich die Volkstumsschrift („Was ist deutsch?“) die Schwerpunkte. Sie werden ineins mit der ständischen Idee analysiert, die Spanns Sozialmodell – jenseits von Marxismus und Liberalismus – fundiert. Erweitert und vertieft wird das Problem am Werk Walter Heinrichs, dem Maaß breiten Raum schenkt. Ebenso Jakob Baxa, einem weiteren Meisterschüler, dem führenden Experten Adam Müllers und Systematiker der romantischen Staatswissenschaft.

Besonderes Interesse erwecken die Abschnitte zur politischen Wirkung des Spannkreises, nicht nur in Österreich und dem Reich, sondern im europäischen Ausland. Dessen Propaganda bezeugt den energischen Willen, die politischen Transformationsprozesse der Zeit mitzugestalten und führende Positionen zu besetzen. Der ehrgeizige Spann selbst (als zukünftiger „Vordenker“ des Nationalso-zialismus) phantasierte, die Ständelehre dem Dritten Reich zu implantieren und Rosenbergs Rassemythos durch seine spirituelle Kosmologie zu ersetzen. All dies sahen die Nationalsozialisten scharf: Sie verfaßten Expertisen, deren Feinderkennung die Polarität von Ganzheitslehre und NS-Doktrin klar aufdeckte. Das kapitale Dokument, die „Spann-Akte“ des SD (1938), befindet sich heute im Bundesarchiv Koblenz. Im Anhang wird sie hier erstmalig abdruckt – dies eine publizistische Sensation für das Forschungsfeld.

Wir lesen dort von der „akuten Gefahr“ des Spannkreises, dem „hochverräterischen Charakter“ seiner Lehre. Polemik zog der konsequente Idealismus auf sich, die Geist-Kategorie im Gegensatz zur Rasse, die der NS-Bericht als Kernsubstanz und erstes Prinzip benennt. Spanns Weltan-schauung als „heimliche Theokratie“ wird der katholischen Subversion verdächtigt. Die eigentliche Pointe lag freilich woanders: Wie Maaß richtig erkennt, argumentierten die NS-Ideologen von einer „rationalistisch-analytischen Warte aus“, erwiesen sich also verblüffend „wissenschaftsgläubig“. Als Modernisten verwarfen sie Spanns „nicht bewiesene“ Ganzheitslogik als „metaphysische Spekulation“ und „Utopie“. Diesem vernichtenden Urteil folgte bald das gegenüber Spann verhängte Lehrverbot und eine mehrmonatige Inhaftierung im Konzentrationslager Dachau 1938 bis 1939.

Heute schärft die offizielle Unterdrückung seines geistvollen Platonismus das Auge angesichts der informellen Tabuisierung des metaphysischen Prinzips in der Mediengesellschaft. Es bedürften vielmehr die umlaufenden Partialtheorien der Ergänzung durch eine integrative Systemform, deren metaphysischer Kern politischer wie kommerzieller Funktionalisierung widerstünde. Dies sei zumal dem intellektuellen Konservativismus ins Stammbuch geschrieben. Hält er sich doch auf seinen Realismus viel zugute, bleibt aber eine integrale Vision des Lebens schuldig.

Sebastian Maaß: Dritter Weg und Wahrer Staat. Othmar Spann – Ideengeber der Konservativen Revolution. Regin-Verlag, Kiel 2010, broschiert, 176 Seiten, Abbildungen, 18,95 Euro

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