© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/10 10. Dezember 2010

Haltungsnote
„länger deutsch als Merkel“
Tilmann Wiesner

Es gibt Anlässe, da muß man sogar Angela Merkel vor ihren Freunden des linksliberalen Medienkartells in Schutz nehmen – und zwar reflexartig, wie man sich vor seine eigene „Mutti“ würfe. Beispielsweise, wenn eine Deutsch-Türkin wie Hatice Akyün wortreich, aber kenntnisarm im Deutschlandfunk über die angebliche Islamophobie der Deutschen herumpalavert: „Nun ja, das ist natürlich so eine gefühlte Stimmung.“ Die Journalistin, die 1972 im Alter von drei Jahren mit ihrer Familie aus dem zentralanatolischen Dorf Akpinar Köyü nach Duisburg zog, verstieg sich in dem Radiointerview schließlich zu der Behauptung, sie sei schon länger Deutsche als Angela Merkel, weil sie den deutschen Paß schon viel, viel länger habe.

Hinter dieser Aussage schimmert einerseits Arroganz gegenüber den Mittel- und Ostdeutschen durch, andererseits eine ungehörige Portion Unwissenheit über die Geschichte ihres Gastlandes. Anders als ihre anatolischen Vorfahren hat die Bundesrepublik Deutschland DDR-Bürger nämlich niemals als Ausländer betrachtet – nicht zuletzt weil das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht dem Abstammungsprinzip (ius sanguinis) verpflichtet war. Angela Merkel war also nie eine „Paßdeutsche“.

Obwohl Akyün bekundet, daß sie sich als Deutsche verstehe, offenbart sie im Interview Probleme mit dieser kollektiven Identität: „Also wir haben wirklich viele Probleme in der Türkei, was heißt wir, aber die Türkei hat viele Probleme, an denen sie arbeiten muß ...“ Es sind wohl nicht die Schlingen der deutschen Sprache, in denen sich die preisgekrönte Schriftstellerin verfängt, sondern innere Loyalitätskonflikte, die auch Vorzeigemigranten befallen. Vom „Herzen deutsch und von der Seele türkisch“, so Akyün über sich selbst – keine leichte Bürde. Wahrer Patriotismus setzt eine „monogame“ Beziehung zum Vaterland voraus.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen