© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/10 17. Dezember 2010

Toleranz wird kleingeschrieben
Großbritannien: Die Tories zügeln die Einwanderung
Derek Turner

Bereits kurz nach Regierungsantritt hatte die neue konservativ-liberale Regierung Großbritanniens im Juni verlauten lassen, daß sie die Einwanderung qualifizierter Arbeits- und Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern über ein Kontingent einschränken wolle. Mittlerweile hat Innenministerin Theresa May erste Ergebnisse zur Einwanderung aus Nicht-EU-Staaten bekanntgegeben und Verbesserungen versprochen. Demnach ist die Netto-Zuwanderung von 196.000 im vergangenen Jahr auf 215.000 Personen gestiegen. 2009 wurden 50.000 Visa für „qualifizierte“ und „hochqualifizierte“ Arbeitskräfte bewilligt. Nach der vorgesehenen Neuregelung sollen nun zwischen April 2011 und April 2012 maximal 21.700 qualifizierte Einwanderer aus Nicht-EU-Staaten aufgenommen werden.

Dem nicht genug. Auch die Zahl ausländischer Studierender soll vermindert werden. Eine Überprüfung ergab, daß der Verbleib von einem Viertel aller Studenten, die an Privatinstitutionen unterhalb des Bachelor-Niveaus eingeschrieben sind, nicht zu klären war. Vorgesehen ist eine Beratungsrunde, um Maßnahmen zur Bekämpfung von Schein-Institutionen und zur Ausweisung von „Studenten“ mit abgelaufenem Visum zu beschließen.

Weiter will die Regierung durch Einschränkung der Niederlassungsfreiheit und der Verlängerung von Visa dafür sorgen, daß mehr Ausländer Großbritannien wieder verlassen. Ob die „Familienzusammenführung“, die 2009 weitere 49.000 Menschen ins Land brachte, ebenfalls strengerer Kontrolle unterworfen werden kann, hängt allerdings davon ab, ob die Tories ihr Wahlversprechen erfüllen und den Human Rights Act von 1998, der die unmittelbare innerstaatliche Geltung der Europäischen Menschenrechtskonvention beinhaltet, rückgängig machen.

Begleitet wurden die Initiativen von heftigen Debatten im Unterhaus, bei denen konservatie Politiker kein Blatt vor den Mund nahmen. Peter Lilley äußerte sich zu der Torheit, Qualifikationen zu importieren, Julian Brazier sprach zur Überbevölkerung der Insel, und Chris Skidmore sagte: „Es ist nicht fremdenfeindlich, sich ernsthafte Sorgen darüber zu machen, wie unsere Schulen mit steigenden Schülerzahlen klarkommen oder wie die Lehrer für Disziplin im Klassenzimmer sorgen sollen, wenn die Schüler verschiedene Sprachen sprechen.“

Nick Boles, wie Skidmore ein Neuling im Parlament, der sich bereits als einflußreicher „Modernisierer“ einen Namen gemacht hat, veröffentlichte vor kurzem gar ein einwanderungskritisches Buch unter dem Titel „Which Way’s Up?“ Boles fordert, die Zahl der Einwanderer aus Nicht-EU-Ländern noch weiter zu beschränken und ihnen eine Kaution abzuverlangen.

Man kann davon ausgehen, daß diese Nachwuchspolitiker es durchaus ernst meinen – freilich dürfte ihnen wohl kaum entgangen sein, daß sich die Haltung der Bevölkerung zum Thema Einwanderung langsam, aber sicher zu wandeln beginnt. Entsprechend berichtete der linksliberale Guardian über die Ergebnisse einer Langzeitstudie über britische Jugendliche. Zwischen 2002 und 2009 seien diese „in der Praxis weniger tolerant gegenüber Gleichstellungsbestrebungen“ geworden und seien weniger gewillt, Zuwanderung zu tolerieren, als in anderen EU-Staaten. Angesichts dieses Stimmungsumschwungs im Zusammenspiel mit der Notwendigkeit, die Staatsausgaben zu kürzen, haben die Tories eine seltene Gelegenheit, das viel zu lange ignorierte Problem endlich effektiv anzugehen.

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