© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/10 17. Dezember 2010

Pankraz,
Anna und die sieben Stufen der Rache

Der Mann ist reif für die Kugel.“ So schrieb Pankraz unheildräuend, als er zum ersten Mal über Julian Assange und sein Wikileaks berichtete. Er war überzeugt davon, daß sich die Mächte, deren „top secrets“ das Assange-Portal so wirkungsvoll ins Netz hievte, solches Treiben nicht lange gefallen lassen würden. Assange schien dem Tode geweiht. Wenn nicht eine Kugel, so würde ihn auf jeden Fall etwas anderes alsbald zu Boden strecken, ein „tragischer Verkehrsunfall“ zum Beispiel.

Mit einem internationalen Haftbefehl wegen Vergewaltigung hatte Pankraz freilich nicht gerechnet. Dabei liegt es an sich in jeder Geheimdienstlogik: Besser, als einen Unbequemen zu töten, ist es, ihn bürgerlich zu vernichten, ihn gewissermaßen in einen untoten Zombie zu verwandeln, mit dem niemand etwas zu tun haben will. Und was ist heute tödlicher als ein Vergewaltigungsvorwurf? Wer mit dem behaftet ist, der kriegt nie mehr einen Fuß auf den Boden, geschweige denn einen Server ins Internet.

Aber wie und wo läßt sich eine leibhaftige, juristisch beweisbare Vergewaltigung arrangieren, jener grausame Akt der Überwältigung, Schmerzbereitung und Demütigung? Derlei fällt auch gewieftesten Agent-Provokateuren nicht leicht. Ein Glück, daß es da das schöne, fortschrittsbewußte Land Schweden gibt, wo man neuerdings schon wegen Vergewaltigung verurteilt werden kann, wenn die Sexpartnerin, die vor und während des Akts völlig einverstanden war, sich am nächsten Morgen „unwohl fühlt“ oder sich „ausgenutzt vorkommt“ und damit zum Kadi läuft.

Bisher hat es zwar auch in Schweden noch keinen Prozeß wegen „minder schwerer Vergewaltigung“ gegeben, doch hielt sich Assange letzten Sommer für einige Zeit in dem Land auf, und so kam es, daß eine nicht unbekannte Sozialdemokratin namens Anna A. (31) einen Vortrag und anschließend eine fröhliche Party für den „allseits bewunderten“ Wikileaks-Gründer organisierte. Ja, sie bot ihm sogar an, bei ihr zu wohnen, was Assange, der Hotels möglichst meidet, dankbar annahm.

Sein Vortrag ging glanzvoll über die Bühne, die Party dauerte bis in den frühen Morgen und wurde immer ausgelassener. Anna und Julian wankten am Ende aufgekratzt zu Anna nach Hause, hatten guten einvernehmlichen Sex miteinander, am nächsten Tag verreiste Anna, Assange aber durfte für die Dauer seines Schweden-Aufenthalts in der Wohnung bleiben.

Inzwischen hatte eine andere Frau (26), die ebenfalls bei dem Vortrag gewesen war und dort in auffälliger Kleidung in der ersten Reihe gesessen hatte, einige Male versucht, per Telefon Kontakt zu Assange aufzunehmen; dessen Handy war jedoch lange abgeschaltet. Endlich, am 16. August, klappte es, man verabredete sich, die junge Dame lud Assange zu sich nach Enköping (einem Nest bei Stockholm) ein. Er übernachtete bei ihr, sie hatten ungeschützten Sex miteinander, und nach einem gemeinsamen Frühstück fuhr Assange nach Stockholm zu Anna A. zurück, die inzwischen ebenfalls von ihrer Reise zurückgekehrt war.

Was nun folgte, ist nur schemenhaft aus Polizeiprotokollen bekannt. Die Dame aus Enköping soll „Gewissensbisse“ bekommen und Anna A. angerufen haben, um ihr ihr Abenteuer mit Julian zu beichten und sie zu fragen, ob man nicht Assange zu einem Aids-Test überreden könne. So erfuhr Anna von dessen „Seitensprung“. Sie schlug der jungen Frau vor, mit ihr zur Polizei zu gehen und den Wikileaker wegen minder schwerer Vergewaltigung anzuzeigen.

Eine Fahndung gegen den Australier wurde ausgeschrieben, schnell aber kleinlaut wieder zurückgenommen. Es war, als schämten sich die schwedischen Exekutivbehörden wegen ihres irren neuen Vergewaltigungsparagraphen. Wochen vergingen. Und siehe, eines Tages – Assange war inzwischen nach England weitergereist – wurde der Fahndungsbefehl erneuert und sogar zum Internationalen Haftbefehl ausgebaut. Julian Assange wurde in London verhaftet und wartete nun in Gesellschaft anderer Sexverbrecher auf seine Auslieferung nach Stockholm.

Faktisch sämtliche internationalen Beobachter sind empört oder schütteln fassungslos den Kopf über „diese Polit-Farce“ Faktisch alle sind überzeugt davon, daß es sich um eine Operation der amerikanischen CIA und anderer internationaler Geheimdienstkreise handelt, um Assange ein für allemal fertigzumachen. Allerdings, Pankraz seinerseits hat gewisse Zweifel. Er behauptet nicht, daß es eine CIA-Verschwörung war, sondern er wünscht es sich nur. Und zwar nicht aus Bosheit oder antiamerikanischem Ressentiment, sondern aus großer Sorge um die Gediegenheit westlicher Lebensverhältnisse.

Denn die einzig denkbare Alternative zur CIA-Verschwörung wäre eine „Weiber-Verschwörung“, ein Feministinnen-Komplott, welches (vor allem wenn es allgemein Schule machte) noch sehr viel abstoßender und verhängnisvoller wäre als ein schnöder Geheimdienstcoup. Vorstellbar ist eine solche Verschwörung leider. Zwei eifersüchtige Frauen entdecken, daß ihr Idol die eine mit der anderen „betrogen“ hat. Und um sich zu rächen, verbünden sie sich und laufen gemeinsam zur Polizei. Der Paragraph gegen „minder schwere Vergewaltigung“ macht’s möglich.

Manche Vorgänge würden durch diese Version leichter erklärbar, etwa die Sache mit dem zurückgezogenen und schließlich wieder (in verschärfter Form) erneuerten Fahndungsbefehl, Die Feministin Anna A., so weiß der Boulevard zu vermelden, habe sich mit einer superfeministischen, jetzt für die Akte zuständigen Staatsanwältin verbündet, und diese habe dann Assange international jagen lassen – aus nackter Rache.

Beide Frauen, so heißt es, seien leidenschaftliche Leserinnen jener berüchtigten feministischen Schwarte „Sieben Schritte zur legalen Rache“, einem „Ratgeber“, wie man es schafft, daß gegen jeden Mann jederzeit Anklage erhoben werden kann. Anna A. hatte die „Sieben Schritte“ sogar eine Zeitlang in ihren Blog gestellt. Er wurde freilich am 21. August wieder gelöscht, just an dem Tag, als sie Julian Assange anzeigten.

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