© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/10 17. Dezember 2010

Paraden gegen die Weihnachtsmuffel
Gilbert Keith Chestertons scharfzüngige Essays haben immer noch Konjunktur
Georg Alois Oblinger

Siebzig Jahre nach dem Tod eines Schriftstellers erlischt das Urheberrecht. So ist es erklärbar, daß vermehrt Werke Gilbert Keith Chestertons (1874–1936) auf den Markt gekommen sind, teilweise sogar in deutscher Erstübersetzung. Doch diese Erklärung allein greift zu kurz. Vielmehr erfreut sich der englische Essayist und Romanschriftsteller einer stetig wachsenden Fangemeinde auch im deutschsprachigen Raum. Eine bildreiche Sprache, unkonventionelle Vergleiche, logische Argumentation und dazu immer eine gehörige Portion Humor – das sind die Kennzeichen Chestertonscher Texte. Schließlich läßt die Tatsache, daß Chesterton insgesamt mehr als 4.000 Essays schrieb, auf seinen enormen Ideenreichtum schließen.

Über dreißig Jahre lang schrieb er für die Illustrated London News, 13 Jahre für die Daily News, zusätzlich gab er seine eigene Zeitschrift G. K.’s Weekly heraus. Im Elsinor Verlag erscheint derzeit von Chesterton „Der Club für bizarre Berufe“, sechs Kriminalgeschichten, die in den fünfziger Jahren unter dem Titel „Der geheimnisvolle Klub“ erschienen sind.

Auch über das Weihnachtsfest schrieb er jedes Jahr mehrere Beiträge. Der Verlag nova & vetera hat schon 2004 eine Sammlung weihnachtlicher Essays unter dem Titel „Die neue Weihnacht“ veröffentlicht, die Ergänzung mit dem Titel „Die englische Weihnacht“ knüpft daran an. Neben fünf Gedichten und einem Brief enthält dieser Band 29 Essays, in denen Chesterton in gewohntem humorvoll-apologetischem Stil das Weihnachtsfest gegen seine unterschiedlichen Kritiker verteidigt. Man staunt, daß die Einwände gegen dieses Fest und gegen die Art, wie es vielerorts gefeiert wird, vor hundert Jahren schon die gleichen waren wie heute.

So wird behauptet, im Weihnachtsfest lebten heidnische Relikte fort oder der Inhalt des Festes sei von allzu vielen weltlichen Bräuchen überlagert, letztlich gäbe es hier doch zuviel Kommerz. Gesundheitsfanatiker kritisieren den Verzehr kalorienreicher Speisen und den reichlichen Alkoholgenuß an den Festtagen. Tierfreunde oder Vegetarier prangern das Töten des Truthahns an. Schließlich kommt Kritik auch aus akademischen Kreisen, die dem Evolutionismus oder Futurismus anhängen und denen das Weihnachtsfest in seiner heutigen Gestalt zu primitiv ist. Gegen alle Angriffe zeigt sich Chesterton stets als Verteidiger des christlichen Glaubens sowie als Verteidiger jener Rituale und Traditionen, die diesen durch die Jahrhunderte weiterleben lassen. Die Menschwerdung Gottes war für ihn das zentrale Glaubensgeheimnis.

Aber auch die gekonnte Parade zeitgeistiger Schrullen macht die Lektüre ansprechend. Schon 1920 wendet er sich gegen feministische Vordenker, welche versuchen, die „Frau am Herdfeuer“ lächerlich zu machen und sie ins Berufsleben zu drängen. Der geistlosen Tätigkeit in der Fabrik setzt Chesterton das „Ur-Abenteuer des Prometheus“ entgegen, das es für die Frau neu zu entdecken gilt.

Auch über die Kindererziehung weiß er Gewichtiges zu sagen. Er berichtet von einer Schule, die nicht mehr spezifisch christlich ausgerichtet ist, sondern in der die verschiedenen Religionen vergleichend einander gegenübergestellt werden. Die Vielzahl der Religionen mache es dem Kind jedoch unmöglich, sich in einer konkreten zu beheimaten, so Chesterton. Ein Kind, das ständig vergleichen soll, sei überfordert und verliere durch die Forderung, ständig ein Urteil abgeben zu müssen, die Fähigkeit zu staunen und sich faszinieren zu lassen.

Gilbert Keith Chesterton: Die englische Weihnacht. Verlag nova & vetera, Bonn 2010, gebunden, 162 Seiten, 16 Euro

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