© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/10-01/11 24./31. Dezember 2010

Kungelei um rote Roben
Bundesverfassungsgericht: Die Richterwahl entscheidet der Parteiproporz
Eike Erdel

Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) soll nach Informationen der Süddeutschen Zeitung im Herbst nächsten Jahres ans Bundesverfassungsgericht wechseln. Dann scheidet der Verfassungsrichter Udo Di Fabio aus dem Amt, dessen Platz Müller einnehmen soll. Er wurde in Berlin schon seit einiger Zeit als aussichtsreicher Kandidat für das Bundesverfassungsgericht gehandelt. Angeblich hat sich die Union bereits mit den Sozialdemokraten auf die Wahl Müllers zum Richter am Bundesverfassungsgericht geeinigt. Müller selbst hat seinen Wechsel nach Karlsruhe bislang nicht bestätigt. 

Die FDP hat inzwischen Bedenken gegen einen Wechsel des saarländischen Ministerpräsidenten an das Bundesverfassungsgericht geäußert. „Mir ist nicht ganz klar, wie der Konflikt gelöst werden soll, daß ein Verfassungsrichter über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen entscheiden soll, über die er als Ministerpräsident und Stimmführer im Bundesrat entschieden hat“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Otto Fricke. Fricke ist einer von zwei Mitgliedern der FDP im Richterwahlausschuß des Bundestages. Die Bedenken sind nachvollziehbar, auch wenn Peter Müller nicht der erste Ministerpräsident wäre, der an das Bundesverfassungsgericht wechselt. Mit dem früheren Staatspräsidenten von Württemberg-Hohenzollern und Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Gebhard Müller (CDU), war bereits von 1959 bis 1971 ein ehemaliger Landeschef Richter des Bundesverfassungsgerichts. Auch er wechselte nahtlos seine Posten. Nachdem er am 13. November 1958 zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts berufen wurde, trat Gebhard Müller am 9. Dezember als Ministerpräsident zurück und trat seinen Dienst in Karlsruhe am 8. Januar 1959 an. Dennoch ist Peter Müllers Wechsel von der Exekutive zur Judikative nicht unbedenklich. Das Bundesverfassungsgericht hat schwerwiegende Machtbefugnisse. Es entscheidet über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen, Bundestags- oder Regierungsbeschlüssen. Dementsprechend versuchen die Parteien durch Benennung der ihnen geeignet erscheinenden Kandidaten, Einfluß zu gewinnen. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz schreibt keine besondere Qualifikation der Verfassungsrichter vor. Die Kandidaten müssen nur mindestens 40 Jahre alt sein und die Befähigung zum Richteramt haben. Gewählt werden sie zur Hälfte von einem speziellen Wahlausschuß des Deutschen Bundestags und zur anderen Hälfte vom Bundesrat. Insgesamt 16 Richter des Bundesverfassungsgerichts gibt es. Um richterliche Erfahrung in die Rechtsfindung des Bundesverfassungsgerichts einzubringen, sind jeweils drei Richter der beiden Senate aus den Reihen der Bundesrichter der anderen Bundesgerichte zu wählen. Bei den zehn übrigen Richterstellen haben die Parteien aber freie Wahl.

Allerdings muß ein Richter mindestens mit einer Zweidrittelmehrheit gewählt werden. Das hat jedoch nicht zur Folge, daß die Parteien die zu wählenden Kandidaten miteinander absprechen und Konsenskandidaten gewählt werden, die das Vertrauen der meisten Mitglieder des Wahlausschusses oder des Bundesrates finden. Vielmehr wird in der Regel im Austausch mit der Wahl eines Kandidaten des gegnerischen politischen Lagers die Wahl des eigenen Kandidaten durchgesetzt. Beim Ausscheiden eines Richters ist klar, welche Fraktion mit der Neubesetzung der Stelle am Zuge ist. So wurde Udo Di Fabio 1999 als Kandidat der Union vom Bundesrat zum Richter des Bundesverfassungsgerichts gewählt, und es besteht Konsens, daß die Union auch seine Nachfolge bestimmen kann. Nur selten werden die Kandidaten des anderen Lagers abgelehnt.

So hatte die SPD im Frühjahr 1993 die spätere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin für die Nachfolge des im Juli 1993 ausscheidenden Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Ernst-Gottfried Mahrenholz, nominiert, konnte die Wahl aber nicht durchsetzen, weil die CDU/CSU die Wahl ablehnte. Die SPD-Frau sei zu politisch, war der am häufigsten gebrachte Einwand gegen ihre Nominierung. Ebenfalls an der Union scheiterte 2008 der SPD-Kandidat Horst Dreier.

In aller Regel sind aber die Richter-Wähler bereit Kröten zu schlucken. So mußten jüngst die Christdemokraten die radikale Feministin Susanne Baer zur Richterin des Bundesverfassungsgerichts wählen, um im Gegenzug für ihren Kandidaten die notwendigen Stimmen zu erlangen. Im Bundesrat wurde vergangenen Freitag bereits die Gießener Rechtsprofessorin Gabriele Britz auf Vorschlag der SPD zur Verfassungsrichterin gewählt, wohl mit den Stimmen der Union.

Im Gegenzug soll sich die SPD bereit erklärt haben, Müller im kommenden Jahr ihre Stimmen zu geben. Und so dürfte auch die Wahl des saarländischen Ministerpräsidenten nur noch eine Formalie sein. Immerhin hat Peter Müller Erfahrung als Richter sammeln können. Er ist studierter Jurist, wurde im April 1986 Richter und war als solcher zuletzt am Landgericht Saarbrücken tätig, bis er 1990 in die Politik wechselte. Wenn man aber bedenkt, welche hohe Verantwortung den Richtern beim Bundesverfassungsgericht zukommt, ist das nicht eben eine große juristische Qualifikation, die Peter Müller da mitbringt.

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