© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/10-01/11 24./31. Dezember 2010

„Wesentlich hilfreicher“
Junge Union: Eine Berliner Diskussion über die Gewalt eingewanderter Jugendlicher zeigt, daß die CDU immer noch ein Problem mit Thilo Sarrazin hat
Lion Edler

Die Union hat noch längst nicht ihren Frieden mit Thilo Sarrazin gemacht. Als die Junge Union (JU) in der vergangenen Woche in Berlin über „Jugendliche Gewalt und Migration“ diskutierte, fehlte auf dem eigens aufgebauten Büchertisch Sarrazins Kassenschlager „Deutschland schafft sich ab“. Immerhin lag dafür demonstrativ das Buch „Das Ende der Geduld – Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter“ der verstorbenen Jugendrichterin Kirsten Heisig aus. Er habe Heisigs Buch „als wesentlich hilfreicher empfunden“ als das von Sarrazin, sagte der JU-Bundesvorsitzende Philipp Mißfelder und machte damit deutlich, daß das Fehlen des Sarrazin-Buches kein Zufall war. „Wesentlich hilfreicher“ – eine mehr als deutliche Anspielung auf die berüchtigte Sarrazin-Stellungnahme von Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit der diese vergeblich versucht hatte, die von Sarrazin losgetretende Einwanderungsdebatte im Keim zu ersticken.

Heisig zeige in ihrem Buch „sehr, sehr plastisch“, was „in unserer Justiz teilweise falsch läuft“, sagte Mißfelder. Sarrazin hingegen biete zwar auch interessante Analysen, habe aber in seine Beschreibungen auch „seine Ideologie eingebracht“, weshalb die Union sich mit dem Buch „sehr kritisch auseinandergesetzt“ habe. Man könne aber auch selbstkritisch sagen, die CDU habe „oft gesagt, daß Deutschland kein Einwanderungsland ist“.

Der Neuköllner Jugendrichter Günter Räcke, der einst mit Heisig zusammengearbeitet und mit ihr das „Neuköllner Modell“ entwickelt hatte, das auf schnelle Strafverfahren, Täter-Opfer-Gespräche und gemeinnützige Strafarbeit setzt, verwies auf der Veranstaltung darauf, daß 70 bis 85 Prozent der Intensivstraftäter in Neukölln Migranten seien. Dies habe jedoch vor allem soziale Ursachen. Höhere Strafen lehnt Räcke auch deshalb „kategorisch“ ab. Nötig sei vielmehr eine schnellere Verurteilung. Zustimmung bekam er vom CDU-Bundestagsabgeordneten Siegfried Kauder, der sich vehement dagegen aussprach, die Strafmündigkeitsgrenze herbzusenken. Man könne einem 16jährigen keine Freiheitsstrafe von 15 Jahren auferlegen. „Populistische Reaktionen“ und höhere Strafen lösten die Probleme nicht, sagte Kauder. Wer fordere, bei einem 18jährigen das Erwachsenenstrafrecht anzuwenden, wisse gar nicht, was das Jugendstrafrecht ist. Es bringe auch nichts, Kinder einzusperren. Man müsse doch „verhindern, daß die überhaupt in so eine Lage kommen.“ Er sei zudem nicht bereit, das Thema Jugendgewalt nur als Migrantenproblem zu diskutieren.

Das geschah an diesem Abend allerdings ohnehin nur am Rande. Stattdessen wurd ein weiter Bogen geschlagen – von Konfliktlotsen über Kritik am Betreuungsgeld als Förderung von Kindesvernachlässigung bis hin zur Ganztagsschule als Mittel der Prävention. Das Anliegen von Kirsten Heisigs Buch, konsequente Sanktionen gegen Gewalttäter einzusetzen, geriet da in den Hintergrund.

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