© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/10-01/11 24./31. Dezember 2010

CD: In Dulci Jubilo
Dauerton der Andacht
Sebastian Hennig

Bei Dabringhaus und Grimm Audiovision ist eine CD mit weihnachtlichen Chorsätzen der Romantik erschienen. Jörg Straube dirigiert den von ihm begründeten Norddeutschen Figuralchor. Diese Musik ist unzweifelhaft keine Konzertmusik. Ihr sakraler Gehalt erfordert die entsprechende Resonanz. Das war nicht immer der Kirchenraum, sondern mehr noch das großbürgerliche Wohnzimmer, in dem die vielköpfige Familie einst solche Ensembles vorhielt.

Die Zeitspanne der Entstehung der Chöre und Motetten von 1840 bis 1920 entspricht in etwa der Bauepoche der großzügigen neogotischen und spätklassizistischen Kirchenhallen. Diese Zeugen der Industrialisierung und Verstädterung sind heute zumeist nur noch zum Weihnachtsfest bis auf den letzten Platz gefüllt. Dem materiellen Aufschwung entsprach damals eine Verflachung der Kultur, einschließlich der Kirchenmusik. Die Basis, von der die großen Meister der romantischen Musik noch zehrten, war dahingeschwunden. Der Anteil guter Musik am Lobpreis ging zurück.

Da ist es naheliegend und gerecht, daß diese Künstler mit ihren anspruchsvollen Chorsätzen zu bekannten Weisen ihrer Ziehmutter die Dankespflicht erstatteten. 1841 berief der preußische König Friedrich Wilhelm IV. Felix Mendelssohn-Bartholdy zum Domkapellmeister. Er übertrug ihm die Neueinrichtung der Liturgie und regte damit auch die Komposition passender Stücke an. Auf der CD enthalten sind unter anderem zwei Sätze der Choralkantate „Vom Himmel hoch“ von 1843. Zudem finden sich drei der „Sechs Sprüche für achtstimmigen Chor beim Gottesdienst zu singen op. 79“.

Weniger bekannt ist der Sohn eines Vetters des Komponisten, Arnold Mendelssohn (1855–1933), der als „Kirchenmusikmeister“ in Darmstadt für die Evangelische Landeskirche in Hessen tätig war. Am Konservatorium in Frankfurt wurde er zum Lehrer Paul Hindemiths. Die dynastischen Verknüpfungen der Schüler- und Lehrerverhältnisse in den Lebensläufen der unbekannten Komponisten sind bemerkenswert und erweisen, wie bedeutend die Beständigkeit eines musikalischen Grundniveaus ist. Dessen temperierte Verhältnisse bilden die Voraussetzung für die zeitweiligen Ausbrüche individueller Genialität.

Heinrich Kaminski (1886–1946) schuf 1928 ein „Volksliederbuch für die Jugend“, aus dem zwei Weisen erklingen. An der Preußischen Akademie der Künste war er der Lehrer von Carl Orff. Auch von Alban Berg findet sich eine Motette. Als Unterrichtswerk komponierte er sie bei Arnold Schönberg auf die Verse „Es ist ein Reis entsprungen“. Dunkel geheimnisvoll tönt das uralte Lied anonymen Ursprungs in seiner Fassung. Den Tonträger durchzieht, in unterschiedlichen Intervallen an- und abschwellend, ein Dauerton der Andacht.

Heute ist die Kirchenmusik, mit eigenen Bildungseinrichtungen, neben den karitativen Aufgaben, eine der öffentlichkeitswirksamsten Bekundungen christlichen Lebens geworden. Die evangelischen Kirchen versammeln zu Messen, Requiems und Kantaten mehr Menschen als zur eigentlichen Kulthandlung. Daran ist nichts Bedenkliches. Denn der Wohlklang des Gesang als geheiligtes Abwehr- und Huldigungsmittel ist schon in der Heiligen Schrift verbürgt.

In Dulci Jubilo - Weihnachtliche Chorsätze der Romantik, Norddeutscher FiguralchorMusikproduktion Dabringhaus und Grimm, 2010 www.mdg.de

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