© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/11 07. Januar 2011

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Glanz vergangener Zeiten
Paul Rosen

In Bonn waren sie die einzigen Orte, die am Abend etwas Abwechslung in die Langeweile des Regierungsviertels brachten: die zunächst elf und nach der Wiedervereinigung 16 Vertretungen der Länder beim Bund. Diese Vertretungen waren und sind einerseits die Stabsstellen der Landesregierungen für ihre Mitarbeit im Bundesrat (JF 47/10).

Andererseits hatten und haben diese Landesvertretungen eine gesellschaftliche Funktion. König des auf Montag bis Donnerstag beschränkten Bonner Nachtlebens am Bundestag (am Wochenende war Ruhe) war, wer auf möglichst vielen Einladungslisten von Landesvertretungen stand. Wie ein gefräßiger Troß zogen seinerzeit ganze Gruppen von Politikern (die ohnehin immer eingeladen waren), Lobbyisten und Journalisten des Abends von Landesvertretung zu Landesvertretung. Auf deren Veranstaltungen, vom bayerischen Oktoberfest bis hin zu Weihnachtsfeiern, wurden Kontakte geknüpft, politische Vorhaben befördert oder hintertrieben, Posten vergeben oder Knüppel zwischen Karrierebeine geworfen.

Ein ständiger Treffpunkt war auch die Gaststätte im Bundestag, die zweckmäßigerweise immer so lange geöffnet war, wie ein Abgeordneter Durst hatte. Und sie waren durstig ... Luxus-Restaurants oder große Hotels spielten im Bonner politischen Leben kaum eine Rolle. Die weitesten Ausflüge führten gerade bis in ein unter Politikern beliebtes China-Restaurant in Bonn-Plittersdorf oder zur Gaststätte „Ria Maternus“ am Godesberger Bahnhof.

In Berlin ist die Eleganz in die Politik zurückgekehrt. Die Politiker sind nicht mehr allein auf weiter Flur mit einigen hundert bundespolitischen Korrespondenten wie in Bonn. Die Hauptstadt zieht Künstler und Kulturschaffende (heutiger Begriff: Kreative) beinahe magisch an. Lobbyisten, die in Bonn nur kleine Spesenetats zu verwalten hatten, müssen jetzt teure „Events“ veranstalten. Wer heutzutage abends durch die noblen Hotels streift, sieht die Hinweisschilder auf Veranstaltungen von Industrie und Lobbyisten-Verbänden. Spitzenköche bereiten hier Buffets zu, während es in den Landesvertretungen eher regionale Hausmannskost gibt. Dort ist erheblich weniger Prominenz zu sehen. Selbst in den Palästen der Bayern, der Nordrhein-Westfalen und der Niedersachsen sind Abgeordnete seltener geworden. „Man“ geht dort nicht mehr hin, weil die Entscheider zum Beispiel im Bierkeller der bayerischen Vertretung nicht mehr anzutreffen sind. Die gesellschaftliche Bedeutung der Landesvertretungen ist auf eine Verpflegungsstation für Regierungsbeamte reduziert worden.

Selbst legendäre Orte wie die Bundestagsgaststätte in der Parlamentarischen Gesellschaft sind nur noch Schatten einer wichtigen Vergangenheit. Dafür erlebte eine andere Veranstaltung, die selbst in Bonn nur eine geringe gesellschaftliche und keine politische Bedeutung hatte, einen kometenhaften Aufstieg: Der Bundespresseball ist heute Treffpunkt für die Spitzen von Politik, Kultur und Medien. Hohe Preise und ein ausgeklügeltes Einladungssystem garantieren, daß man unter sich bleibt.

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