© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/11 07. Januar 2011

Was von der Herrlichkeit übrigblieb
Rückkehr zu den Wurzeln: Der einst stolze und mächtige schlesische Adel knüpft zaghaft neue Bande in sein polnisch gewordenes Stammland
Paul Leonhard

Zu Weihnachten und Geburtstagen fand Guidotto Graf Henckel Fürst von Donnersmarck immer Glückwunschkarten mit fremden Briefmarken vor. Sie kamen aus Oberschlesien. Die polnischen Bürgermeister von Neudeck und Tarnowitz gratulierten. Auch die katholische Kirche. „Geantwortet habe ich nie“, sagt der Fürst. Schlesien sei ihm fremd gewesen. Auch sei er als Bankdirektor viel zu eingespannt gewesen, um sich tiefer mit seinen schlesischen Wurzeln zu beschäftigen. Und in der Familie sei nie ungefragt über die Zeit vor 1945 gesprochen worden, auch wenn das verlorene Schlesien irgendwie immer anwesend war: „Es wurde als familiäre Tragödie empfunden, die aber das Ergebnis eines unsinnigen, verlorenen Krieges war.“

„Was bleibt? Schlesischer Adel in der Geschichte und heute?“ hieß das Thema zweier Diskussionen, die an aufeinanderfolgenden Tagen in der sächsischen Landesvertretung in Berlin und im Schlesischen Museum zu Görlitz stattfanden. Elisabeth von Küster, Guidotto Graf Henckel Fürst von Donnersmarck, Ernst-Johann Prinz Biron von Curland sowie Sigismund Freiherr von Zedlitz und Neukirch berichteten dabei von ihren Erfahrungen. Letzterer entstammt dem schlesischen Uradel.

Seit 1320 sind neun Brüder des ursprünglich aus Sachsen stammenden Adelsgeschlechts in Schlesien ansässig. Vorfahren haben schon 1241 in der Schlacht bei Liegnitz gegen die mongolischen Reiter unter Bat Khan gekämpft. Die von Donnersmarck kamen dagegen erst 1603 nach Schlesien, die von Biron im 18. Jahrhundert, nachdem man die Gnade des russischen Zaren verloren hatte. Um 1737 hatte Ernst Johann von Biron die niederschlesische Standesherrschaft Groß Wartenberg für 180.000 Taler erworben. Sie blieb bis 1945 in Familienbesitz. Die Familie von Donnersmarck, der auch der Filmregisseur ud Oscar-Gewinner Florian Henckel von Donnersmarck entstammt, zählte einst zu den mächtigsten Industriellen und Großgrundbesitzern Deutschlands. Ihr gehörten zahlreiche Bergwerke und Eisenhütten sowie um die 27.500 Hektar Land in Oberschlesien und Galizien. Seit 1629 war sie im oberschlesischen Neudeck ansässig. Nach der Abtrennung Ostoberschlesiens optierte man sogar für Polen, um den Besitz zu retten. „Mein Vater sprach perfekt polnisch und holte nach der Abstimmung 1921 das polnische Abitur nach“, sagt Guidotto Graf Henckel Fürst von Donnersmarck. Damals wurde aus einem Teil des vormals deutschen Adels polnische Bürger, oder der Besitz verteilte sich auf zwei Nationalstaaten.

Die Familie von Küster kam erst 1835 nach Schlesien. Dafür ist sie die einzige, die heute wieder in der alten Heimat residiert. Anfang der neunziger Jahre wurde das zum Verkauf stehende Familienschloß im Lomnitz zurückgekauft. „Polnische Freunde machten uns darauf aufmerksam und redeten uns zu, die Tradition fortzusetzen“, erzählt die 38jährige, aus dem Bürgertum stammende Elisabeth von Küster. Sie und ihr späterer Mann Ullrich studierten damals in Berlin. „Mit Schlesien verbanden sich für mich nur Friedrich der Große, die schlesischen Kriege, rauchende Schornsteine und irgendwelche, für mich eher negativ besetzten Schlesiertreffen“, erinnert sich von Küster. Trotzdem sei sie gespannt in das unbekannte Land gefahren und „Reiz und Zauber der Landschaft am Fuß des Riesengebirges fingen mich sofort ein“. Die von Küsters retteten in zäher Aufbauarbeit Schloß, Zweitschloß und Gutshof vor dem endgültigen Verfall. Sie richteten zehn Hektar Park und Wiese wieder her. Heute ist das im Hirschberger Tal, einer der ältesten Kulturlandschaften Mitteleuropas, gelegene Schloß Lomnitz ein beliebtes Reiseziel und deutschen wie polnischen Denkmalpflegern ein Vorzeigeort.

Eine so intensive Beziehung zu dem heutigen Schlesien konnten und wollten weder Guidotto Graf Henckel Fürst von Donnersmarck noch Ernst-Johann Prinz Biron von Curland (beide Jahrgang 1940) aufbauen. Letzterer ist zwar Vorsitzender der nach dem Krieg gegründeten Vereinigung Schlesischer Adel und Mitglied der schlesischen Johanniter, aber längst kein glühender Schlesier. Das Interesse an der alten Heimat wurde ihm von den „Neu-Schlesiern“, wie er die heute dort lebenden Polen nennt, schier aufgedrängt: „Als ich Ehrenbürger von Groß Wartenberg wurde, ist in der Laudatio mein Name nicht ein einziges Mal genannt wurden, nur der meiner Familie.“

Auch Fürst von Donnersmarck ist Ehrenbürger geworden, vom gesamten Kreis Tarnowitz. Allerdings „nicht wegen eigener Verdienste, sondern der meiner Familie für die Entwicklung Oberschlesiens“, räumt er ein. Im Fall von Sigismund Freiherr von Zedlitz und Neukirch ist das anders. Auch weil er, Jahrgang 1933, viel tiefere Erinnerungen an das väterliche Gut und das Leben in Schlesien hat, als die sieben Jahre jüngeren Podiumsgäste. „Die Geschichte der Familie war mir immer sehr wichtig, und die Verantwortung für Land und Leute endet nicht mit 1945“, sagt von Zedlitz. Dieser Verantwortung habe er sich sein Leben lang gestellt, auch wenn er nicht wie geplant das sich seit mehr als 600 Jahren in Familienbesitz befindliche Gut übernehmen konnte. Bevor wieder Reisen in das nun zu Polen gehörende Land möglich waren, arbeitete von Zedlitz „im Westen für Schlesien“.

Als sich der Eiserne Vorhang ein Stückchen öffnete, fuhr er 1971 sofort in die Heimat. Er suchte in Westdeutschland Gleichgesinnte, die „mehr als eine Kerze im Fenster“ mit Schlesien verband, ließ sich als Revanchisten beschimpften und baute in seinem Auto die Rückbank aus, um möglichst viele Hilfsgüter transportieren zu können. Das Wichtigste waren aber die Kontakte zur Polnischen Gesellschaft der Freunde der Wissenschaft in Liegnitz.

Sein Großvater erwies sich dabei als Türöffner. Der war als „verrückter Zedlitz“ in Polen bekannt, weil er sich Anfang des 20. Jahrhunderts als Protest gegen die preußische Bürokratie und Bismarck für seine polnische Wurzeln zu interessieren begann. „Die Familie mütterlicherseits stammte aus dem polnischen Kleinadel“, erläutert von Zedlitz. Ihm öffnete das die Herzen der heute in Schlesien lebenden Menschen. Als in Polen der Kriegszustand herrschte, organisierte er Hilfstransporte. Rund siebenhundertmal war von Zedlitz seit 1971 in Schlesien. Er gründete den Verein Historische Gesellschaft Liegnitz, deren erster Vorsitzender er heute ist. Auf die Verleihung der Ehrenbürgerschaft von Liegnitz ist von Zedlitz daher mit Recht stolz: „Sie ist die Frucht jahrzehntelanger Bemühungen.“ Noch mehr freut ihn aber, daß er Vorurteile auf beiden Seiten abbauen konnte.

Von Donnersmarck ist nach der politischen Wende zum ersten Mal nach Schlesien gefahren. „Überraschenderweise traf ich mein altes polnisches Kindermädchen wieder.“ Das Interesse der heute in Oberschlesien lebenden Polen an einer „Person meines Namens“ wundert ihn immer wieder. Eine Erfahrung, die auch Prinz Biron gemacht hat: „Die Menschen wollen, daß ich ihnen Geschichten erzähle, von der Flucht meines Vaters beispielsweise. Und sie wollen Kontakt halten. Warum, weiß ich nicht. In Westdeutschland würde sich kein Mensch dafür interessieren.“ Fürst von Donnersmarck nickt: „Wir bringen ihnen nichts, aber symbolisieren für sie Geschichte.“ Und er erzählt von einem polnischen Funktionär, der ihm stolz einen Keller voller Jagdtrophäen gezeigt und ihn dann zur Jagd eingeladen hat: „In meinen eigenen Wald.“

Mit dem Adel in Schlesien und seiner wechselvollen Geschichte beschäftigt sich seit 2005 auch ein vom Deutschen Kulturforum östliches Europa initiiertes Forschungsprojekt, in dem deutsche, polnische und tschechische Wissenschaftler eingebunden sind. Es untersucht unter anderem die soziale und politische Stellung des Adels sowie dessen Bedeutung für Kultur und Kunst in Schlesien, speziell in Hinblick auf die Schlösserlandschaft. Polnisch-schlesische Piasten und aus Süddeutschland eingewanderte Ritter wurden zu den Gründern großer schlesischer Adelsgeschlechter. Sie standen im Dienst der polnischen, böhmischen, preußischen und Habsburger Krone. Verschiedene Linien der Brüder von Zedlitz wurden böhmische Freiherren und preußische Grafen, Reichsfreiherren, ungarische Grafen, preußische und bayerische Freiherren. Die beiden Linien derer von Donnersmarck lebten zwar als Nachbarn, die einen orientierten sich aber nach Berlin, die anderen nach Wien und Dresden. Letzteres habe nichts eingebracht außer einen österreichischen Grafentitel, ersteres immerhin 1901 die Erhebung in den Fürstenstand, sagt Fürst von Donnersmarck

Elisabeth von Küster macht derweil auf eine ganz andere Art und Weise schlesische Geschichte erlebbar. Sie ist dabei, den Gutshof, den sie neben Hotel und Restaurant betreibt, wieder zu einem normalen schlesischen Gutshof zurückzuentwickeln: „Ich möchte zeigen, wie ein Rittergut einst funktioniert hat.“ Und während Prinz von Curland darüber klagt, daß immer weniger zu den Adelstreffen kommen und sich junge schlesische Adlige längst nicht mehr als schlesische Familien fühlen, träumt Elisabeth von Küster davon, daß in „zehn oder 15 Jahren schlesische Adlige nicht mehr ihr Glück in den Vereinigten Staaten oder Asien suchen, sondern wie sie einen Neuanfang in Schlesien wagen“. Immobilien gibt es in Niederschlesien, der Region mit der höchsten Schlösserdichte Europas, ausreichend. Sogar Prinz Charles konnte sie unlängst bei einer Privataudienz für eine Investition begeistern.

Auch für Fürst von Donnersmarck ist Schlesien ein wenig näher gerückt. Er empfängt deutschsprachige Lehrer und Schüler aus Oberschlesien, und „neuerdings beantworte ich sogar die Post aus Polen“.

Informationen zum Schloß Lomnitz:  www.schloss-lomnitz.de

 

Schlesien

Die alte deutsche Kulturlandschaft Schlesien gehört seit Ende des Zweiten Weltkrieges zum größten Teil zu Polen. Die deutsche Bevölkerung wurde nach 1945 fast vollständig vertrieben. Lediglich in einigen Regionen Oberschlesiens gibt es noch eine nennenswerte deutsche Minderheit. Die bei Deutschland verbliebenen Teile Niederschlesiens gehören heute zum Freistaat Sachsen. Bis zur Kreisreform bildeten sie den Niederschlesischen Oberlausitzkreis, seit 2008 ist das Gebiet auf die Landkreise Görlitz und Bautzen aufgeteilt.

Foto: Das von der Familie von Küser zurückgekaufte Schloß Lomnitz vor und nach der Renovierung:  „Polnische Freunde redeten uns zu, die Tradition fortzusetzen“

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