© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/11 07. Januar 2011

CD: Knappertsbusch
Die Substanz im Kunstwerk
Sebastian Hennig

Über der goldgeprägten Signatur blickt ein dämonisch-jugendliches Künstlerhaupt von der schwarzen Kartonschachtel in ungewisse Ferne. Ein immaterielles Ziel wird es sein, das er anvisiert. Immateriell und doch gegenwärtig wie die Musik, die sich in der Zeit entwickelt und den Raum erfüllt, die den Hörer ergreift und die er nicht greifen kann.

In einer Reihe legendärer Aufnahmen folgen nach Furtwänglers und Guldas sämtlichen RIAS-Aufnahmen nun auf fünf Platten jene, die Hans Knappertsbusch mit den Berliner Philharmonikern dirigierte. Die Präsenz des Werkes in der unmittelbaren Wiederentstehung aus den Partituren vor dem Publikum war ihm der dramatische Höhepunkt seiner Tätigkeit. Dementsprechend absolvierte er, entgegen der gebräuchlichen Reihenfolge, die Studioeinspielung vor dem Konzert. Und reservierte dadurch die gereifte Aufführung dem unmittelbaren Publikum. Das Gespräch war ihm mehr wert als eine Depesche. Im Gegenüber des aufnehmenden Menschen, während des Auftürmens der Klangarchitekturen Bruckners, Schuberts und Beethovens oder dem Anpeitschen kreiselnder Tänze bei Johann Strauss und Peter Tschaikowski schlug ihm die eigentliche Stunde der Musik. Dabei setzt er die Töne in beständiger Weile um. Der Erz-Wagnerianer dirigiert Bruckners Sinfonien bedeutungsvoll, aber ohne übergeschnappte Ekstase.

Dabei blieb Knappertsbusch auch der heiteren Muse nicht verschlossen. Ein gutes Fünftel seiner Berliner Konzerte waren „Bunte Abende“ mit „populärer Klassik“. Eine Ouvertüre von Otto Nicolai, Stücke aus „Die Fledermaus“ von Strauss und Haydns „Surprise Symphony“ sind dokumentiert. Bei der Zugabe ließ sich sein Künstlertum hinab bis auf das Niveau von Karel Komzáks „Bad’ner Mad’ln“.

Die Aufnahmen sind technisch von erstaunlicher Qualität und hoher dokumentarischer Kraft. Bruckners 9. und Schuberts „Unvollendete“ sind jeweils mit einer Konzert- und einer Studioeinspielung vertreten. Die Aura ist wohl nicht zuletzt so stark, weil eine Zeitstimmung sich im Klang vergegenwärtigt. In äußerster spiritueller Gefährdung des Landes triumphiert dessen unversehrbare Substanz im Kunstwerk.

Knappertsbusch, der in Bayreuth noch Hans Richter assistierte und damit als direkter Enkelschüler Richard Wagners anzusehen ist, stand in besonderer Weise auch in den Stürmen dieser wirren Zeit. Mit Hans Pfitzner war er Initiator und Erstunterzeichner des „Protests der Richard-Wagner-Stadt München“ gegen die Einlassungen Thomas Manns. Dann wurde er 1936 selbst vorübergehend von der Münchner Staatsoper entfernt und ihm alle Auftritte im Reichsgebiet untersagt.

Nach Kriegsende wurde er kurzfristig rehabilitiert, erhielt dann aber wieder „lebenslanges“ Berufsverbot als Kollaborateur. Als auch das schließlich zurückgenommen werden mußte, war ihm die Lust auf feste Anstellung vergangen. Er ließ sich nur noch auf Zeitverträge ein. Seine Zusammenarbeit mit den Berliner Philharmonikern endete 1957 abrupt mit dem Beginn der Ära Karajan wegen ästhetischer Unverträglichkeit. Schade wohl für die damaligen Konzertbesucher. Wir aber sind mit den Aufnahmen reich genug beschenkt worden.

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