© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/11 07. Januar 2011

Ikone einer Generation
Ein Leben wie aus dem Blumenkinder-Bilderbuch: Die Folksängerin Joan Baez wird siebzig
Silke Lührmann

Daß peace, love and understanding – Frieden, Liebe und der Glaube an eine bessere Welt – einst wahre Werte waren und nicht im großen Ausverkauf zum Schleuderpreis zu haben, ist uns, Nachgeborenen wie Zeitzeugen, längst peinlich. Was bleibt, ist ein schaler Zynismus gegenüber allen Idealen, erst recht denen von damals; was bleibt, ist jene andere Trias: sex, drugs and rock’n’roll als Mantra und Menetekel einer angeblichen Risikogesellschaft, die jedes echte, jedes existentielle Risiko scheut wie die Engel das Höllenfeuer.

Was bleibt, sind Film- und Tonaufnahmen, denen nun „remastered“ ein digitales Nachleben widerfährt – Dokumente einer Zeit, die niemals war. So steht Joan Baez, die am 9. Januar siebzig wird, unsterblich als langhaarige Unschuld Hand in Hand mit einem wuschelköpfigen Kobold namens Bob Dylan auf der Bühne: Adam und Eva vor dem Fall. In „Dont Look Back“, D. A. Pennebakers Verfilmung von Dylans England-Tournee 1965, ist aus der trauten Zweisamkeit sichtlich Zwietracht geworden.

Dabei ist Joan Baez wie ganz wenige Ikonen ihrer Generation in Würde gealtert, sich selber und nicht dem Zeitgeist die Treue haltend, und hat es weder nötig noch verdient, unserem nicht mehr so taufrischen Jahrtausend nur noch als forever young und ewiggestrig im popkulturellen Gedächtnis zu bleiben. Die grande dame der jüngst wieder auflebenden Folk-Szene spielte 1959 als barfüßige Madonna mit einer Stimme wie Honig und Wermut, wie Diamanten und Rost eben, vor begeistertem Publikum beim Newport Folk Festival auf; das Quäker-Schulmädchen, das sich mitten im Kalten Krieg weigerte, während einer Fliegeralarm-Übung zwecks Erprobung des Ernstfalls ihr Klassenzimmer zu verlassen – wodurch sie sich bei ihren Mitbürgern im kalifornischen Palo Alto kommunistischer Sympathien verdächtig machte –, ergriff im Präsidentschaftswahlkampf 2008 endlich Partei und fand im San Francisco Chronicle warme Worte für das sozialpolitische Engagement des späteren Siegers.

In den Jahrzehnten dazwischen nahm sie nicht nur über dreißig Platten auf, sondern unterstützte nebenbei Martin Luther Kings Bürgerrechtsbewegung im Kampf gegen die Segregation, landete im Zuge der Proteste gegen den Vietnamkrieg und die seinerzeit verhängte Wehrpflicht mehrmals im Gefängnis, wo sie ihren späteren Mann David Harris kennenlernte. Die Hochzeit wurde nach pazifistischem Ritus vollzogen, danach zog das Paar in eine vegetarische Kommune. Hochschwanger trat Baez im August 1969 beim Woodstock-Festival auf, der Sohn Gabriel Harris spielt heute Schlagzeug in ihrer Tourneeband.

Zeitweilig machte Baez sich mit ihrer Kritik an Menschenrechtsverletzungen sogar bei vielen linken Gesinnungsgenossen unbeliebt, galt diese doch nicht zuletzt und sehr vehement den kommunistischen Regimen in Vietnam und Kambodscha. Als Enkelin sprachgewaltiger Prediger – die Familie der Mutter stammte aus Schottland, die des Vaters aus Mexiko – und Tochter eines Weltreisenden in Sachen liberales Gewissen, der die Familie im Rahmen seiner Tätigkeit für die Unesco mit nach Europa, Kanada und in den Irak nahm, war ihr der Kampf gegen das Unrecht, wo immer sie seine häßliche Fratze zu erblicken glaubt, wohl in die Wiege gelegt. Ihre Liebe zur Musik hingegen, die mit einer Ukulele und einem Pete-Seeger-Konzert begann, erregte zunächst das Mißtrauen der Eltern, die befürchteten, sie könne zur Drogensucht führen.

Diese ersparte sie sich ebenso wie andere Eskapaden, die ein Leben im grellen Rampenlicht erst wirklich interessant machen. Selbst Baez’ Beziehung mit Apple-Gründer Steve Jobs in den späten Siebzigern will sich nicht recht als politisch unkorrekter Aufreger eignen, zählte er doch zumindest damals noch zu den Guten unter den Silicon-Kapitalisten. Eine Laufbahn ohne offensichtliche Widersprüche also, ein Leben wie aus einem Blumenkinder-Bilderbuch – der Jubilarin daraus einen Strick drehen zu wollen, wäre freilich schäbig.

Fotos: Joan Baez und Bob Dylan beim Marsch auf Washington am 28. August 1963: Adam und Eva; Joan Baez bei einem Konzert in Dresden (2008): Sich selber treu; www.joanbaez.com

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