© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/11 07. Januar 2011

Vom Kopftuch bis zur Burka:
Verbieten? / Ein Verbot sorgt für Ordnung
Alain de Benoist

Grundsätzlich bin ich gegen staatliche Kleidungsvorschriften. Der muslimische Schleier (Hijab) stört mich genausowenig wie die bretonische Haube, die Baskenmütze, der Turban eines Sikhs, der afrikanische Boubou oder die bayerische Lederhose.Ich sehe keinerlei Notwendigkeit, das Tragen religiöser Zeichen zu verbieten, solange diese nicht gegen die öffentliche Ordnung verstoßen. Mit der Burka verhält es sich anders, und in diesem besonderen Fall befürworte ich ein gesetzliches Verbot.

 Zunächst einmal gibt es nirgends ein religiöses Gebot, das die Ganzkörperverschleierung vorschreibt. Der Ursprung dieser Sitte ist nicht religiös: Vielmehr diente sie historisch dazu, die Frauen den Blicken der Plünderer zu entziehen, die in afghanischen Dörfern einfielen, um Mädchen und Frauen zu verschleppen. Die große Mehrheit der Muslimas hat also nie eine Burka getragen und hat auch nicht die geringste Absicht, sie jemals anzulegen. Traditionell gab es sie nur in Afghanistan und den Nachbarländern. In Europa handelt es sich um eine absolute Randerscheinung.Im Gegensatz zum Hijab und selbst zum Niqab verbirgt die Burka nicht nur die Augen oder einen Teil des Gesichts. Sie verhüllt Körper und Gesicht ihrer Trägerin vollständig – selbst die Augen bleiben hinter einer Art Gitter versteckt – und macht somit eine Feststellung der Identität unmöglich.

 Die europäischen Staaten sind in der Frage des Umgangs mit der Burka derzeit gespalten. Frankreich ist bislang das einzige Land, das sich zu einem vollständigen Verbot im gesamten öffentlichen Raum entschlossen hat. Belgien und die Niederlande werden voraussichtlich demnächst folgen. In Spanien zögert man noch; im Gegensatz zu der sozialistischen Regierung ist die katholische Kirche tendenziell gegen ein Verbot, das aus ihrer Sicht eine Einschränkung der Religionsfreiheit bedeutet. Die Briten lehnen es aus politischen, die Deutschen aus juristischen Gründen ab. Die Europäische Union und der Europarat weigern sich, in die Gesetzgebung der Einzelstaaten einzugreifen.

 In Frankreich stößt die Burka in der öffentlichen Meinung aus unterschiedlichen Gründen auf Kritik und Ablehnung. Sie stehe im Widerspruch zum „Laizismus“, heißt es, zu den „Werten der Republik“ oder gar den „Menschenrechten“. Ein Zeichen der „Unterdrückung der Frau“ sei sie, ein „Angriff auf ihre Würde“. Solche Kritiken mögen gut gemeint sein, aber sie sind fehl am Platz. Niemandem darf ein bedingungsloses Bekenntnis zu den „Menschenrechten“ oder den „Werten der Republik“ – in Deutschland würde man von „Verfassungspatriotismus“ sprechen – abverlangt werden. Die Burka als „Merkmal der Unterdrückung“ zu verbieten, ist ein subjektives Urteil, das viele ihrer Trägerinnen keineswegs teilen würden – ganz zu schweigen vom „Angriff auf die Würde der Frau“, denn ebendiese Würde soll durch das Tragen der Burka ja bewahrt werden. Eine „Freiheit der Frau“, die sich von der des Mannes unterscheiden würde, gibt es im übrigen nicht.

Das einzige konsequente Argument, mit dem sich ein Burka-Verbot begründen läßt, ist, daß sie ganz offensichtlich gegen die Bestimmungen der öffentlichen Ordnung verstößt. Diese Position vertritt Anne-Marie Le Pourhiet, Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Rennes: „Wenn keine Möglichkeit besteht, die Identität einer Person festzustellen, sind öffentliche Ordnung und Sicherheit bedroht. Genausowenig wie wir zulassen, daß jemand nackt auf der Straße spaziert, kann unsere Zivilisation weiterhin Menschen tolerieren, die körperlich nicht existieren.“

 Das Gesetz, das am 11. Oktober 2010 nach monatelangen öffentlichen Debatten verabschiedet wurde und in diesem Jahr in Kraft getreten ist, untersagt die Totalverhüllung des Gesichts im öffentlichen Raum. Verstöße werden mit einer Geldstrafe von maximal 150 Euro geahndet. Eine sehr viel härtere Strafe von bis zu 30.000 Euro und einem Jahr Gefängnis ist für die „Anstiftung zur Verhüllung des Gesichts“ vorgesehen. Indes bleibt unklar, wie die Anwendung dieses Gesetzes praktisch vonstatten gehen wird. Wer soll das Risiko auf sich nehmen, einer Burka-Trägerin einen Strafzettel zu verpassen? Soll er sie anschließend zwingen, die Burka auszuziehen? Da kann man den Polizisten nur viel Mut wünschen.

 

Alain de Benoist, Jahrgang 1943, ist Philosoph, Publizist und Herausgeber der französischen Kulturzeitschrift Nouvelle École. Auf dem Forum schrieb er zuletzt über die französische Rechte („Nicht konservativ, sondern rechts“,      JF 08/09).

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