© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/11 07. Januar 2011

Der Flaneur
Rotwein mit Freunden
Josef Gottfried

Seit Wochen ist es glatt auf den Straßen. Also bin ich vorsichtig und stapfe in kleinen Schritten die 800 Meter von unserer Haustür zur Tankstelle, um einigermaßen teuren Rotwein für mich und meinen alten Freund zu kaufen. Wir sitzen zusammen und trinken, sind aber nicht betrunken genug, um mit diesem Abend zufrieden zu sein. Seltsam eigentlich, daß man mit Freunden von früher umso heftiger abstürzt, je länger man sich nicht gesehen hat.

Ich gehe eine mäßig gestreute und leicht abschüssige Nebenstraße entlang. Ein sportlicher Kombi biegt ein und schickt sich an, die Steigung zu erklimmen. Der Wagen ist so elegant und so neu, wie der feine Anzug des Fahrers zu sein scheint. Ich komme nicht umhin, ihm eine Tätigkeit als Direktvertriebler oder Mental-Coach zu unterstellen. Also mag ich ihn nicht. Er fährt an, erster Gang, die Vorderreifen drehen durch und schleudern Schneematsch nach hinten. Er legt den zweiten Gang ein. Gute Idee, aber ebenfalls hoffnungslos: Er kommt den Hang einfach nicht hoch. Dabei hat er Winterreifen drauf, die Stahlfelgen sind der Beweis.

Das Schauspiel geht jetzt bestimmt schon 20 Sekunden, und ich bekomme meinen Mund vor lauter Staunen gar nicht mehr zu. Die Beifahrerin steigt aus und schiebt den Kombi an, vergeblich, die Reifen finden keinen Halt. Sie winkt mich herbei, und wie vom Hafer gestochen stapfe ich über den vom Winterdienst geschaffenen Schneehaufen entlang des Bürgersteiges, so daß mir kalter Schnee in die Hosenbeine dringt. Dann drücke ich mit aller Kraft gegen die Kofferraumklappe. Und siehe da, der Kombi kommt ins Rollen. Die Beifahrerin ruft noch „Vielen Dank!“ und hüpft zurück ins fahrende Auto.

Ich bleibe stehen und wundere mich über meine reflexhafte Solidarität mit jemandem, den ich nicht mochte, obwohl ich ihn gar nicht kannte. Rotwein hätte ich jedenfalls nicht mit ihm getrunken.

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