© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/11 14. Januar 2011

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Integration: Eine Studie scheitert am Versuch, Sarrazins Thesen zu widerlegen
Fabian Schmidt-Ahmad

Im Fernsehen war sie das schöne Gegenüber des bärbeißig dreinschauenden Thilo Sarrazin: Naika Foroutan, Berliner Sozialwissenschaftlerin mit persischen Wurzeln. In unzähligen Talkshows war sie angetreten, die Thesen des ehemaligen Finanzsenators zur fehlgeschlagenen Zuwanderungs- und Integrationspolitik zu widerlegen. Dabei verhaspelte sich Foroutan jedoch derart mit Zahlen, daß es ihr eine Reihe gehässiger Kommentare über „islamische Zahlenmystik“ einbrachte.

Aus Schaden nicht klug geworden, sucht Foroutan nun erneut das Licht der Öffentlichkeit und will „einen empirisch-analytischen Gegenentwurf auf der Basis wissenschaftlich relevanten Datenmaterials anbieten“. Schließlich war mit Sarrazin ein Mann aufgetreten, dem selbst seine politischen Gegner bisher Akribie und hohe Fachkompetenz zusprachen. Konnte man die unbequeme Wahrheit, was es heißt, wenn Deutschland einer muslimischen Masseneinwanderung ausgesetzt ist, sonst als „dumpfes Bauchgefühl“ einer „islamophoben“ oder sonstwie randständigen Minderheit verunglimpfen, legte der sozialdemokratische Finanzexperte und damalige Bundesbankvorstand ein Werk vor, das nur so von empirischen Daten strotzt. Über eine Million Mal ging sein Titel „Deutschland schafft sich ab“ über die Ladentheke, und der Autor konnte jüngst nicht ohne Stolz resümieren: „Die von mir genannten Statistiken und Fakten hat keiner bestritten.“

Genau dies behauptet Foroutan nun geändert zu haben und greift dabei auf dieselben Quellen zurück, auf die sich auch Sarrazin bezog: offizielle Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sowie des Statistischen Bundesamts, ergänzt um Studien, zum Beispiel vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Migration und Integration. Offensichtlich scheinen sie und ihr Mitarbeiterstab des der Humboldt-Universität angegliederten Forschungsprojektes „Hybride europäisch-muslimische Identitätsmodelle (Heymat)“ – die Bezeichnung soll laut den Initiatoren „als Dekonstruktion des sehr deutschen Begriffes Heimat verstanden werden“ – auch einen Gegenentwurf zum gängigen Wissenschaftsstandard zu planen. Was man überhaupt nur falsch machen kann, auf den 69 Seiten findet es seinen Platz.

Zunächst stößt der langatmige ideologische Klamauk auf, in den von „Überfremdungsängsten und teilweise rassistisch unterlegten Debatten“ phantasiert wird, „denen Deutschland im Zuge seiner Transformation hin zu einem Einwanderungsland unterliegt“. Dabei haben sich die Autoren insbesondere Kapitel 7 des Buches vorgenommen und behaupten, Sarrazin habe „tendenziös und pauschal abwertend“ über „die Muslime“ gesprochen. Allerdings legt Sarrazin ausgerechnet in diesem Kapitel dar, daß es zwar „die Muslime“ nicht gibt, sehr wohl aber problematische Tendenzen im Islam. Man hat also entweder das Kapitel nicht gelesen, nicht verstanden oder Schlimmeres.

Gelangen die Autoren endlich zur Empirie, fängt der Unsinn erst richtig an. So verdeutlicht Sarrazin „kulturelle Integrationsprobleme“ an der mangelnden Schulbildung von Moslems: „Von den in Deutschland lebenden Menschen mit muslimischem Migrationshintergrund haben 30 Prozent überhaupt keinen Schulabschluß und 14 Prozent Abitur.“ Das steht im krassen Mißverhältnis zu den Deutschen, „die zu 1,6 Prozent keinen Abschluß haben und zu 34 Prozent Abitur“. Eindeutige Zahlen könnte man meinen, doch nicht für die Autoren der Berliner Gegenstudie. Die Behauptung, daß der Islam für die Bildungsmisere verantwortlich sei, „findet keine Entsprechung im statistischen Datenmaterial und ist empirisch nicht haltbar“. Denn Sarrazin habe nicht die zeitliche Entwicklung berücksichtigt. „Die Dynamik des Bildungserfolges ist über die Generationenfolge klar erkennbar und müßte in eine Zukunftsprognose als solche mit einfließen.“

Das geht dann so: Die erste Generation der türkischen Einwanderer hatte eine Abiturquote von drei Prozent. Aus dem Mikrozensus des Jahres 2009 will man eine Abiturquote von „22,5 Prozent“ herausgelesen haben. „Gegenüber den 3 Prozent der ersten Generation ergibt dies eine Steigerung von ca. 800 Prozent!“ Beeindruckend, nur sind die Zahlen reinster Kokolores. Die drei Prozent der Einwanderergeneration ist ein extrem niedriger Wert, da aus der Türkei ungelernte Arbeiter und keine Abiturienten kamen. Ausschlaggebend für die überfällige Debatte ist der Bildungsunterschied zwischen der zweiten und dritten Generation, die beide das deutsche Schulsystem durchlaufen haben. Hier ist in der Tat eine gefährliche Stagnation auf niedrigstem Niveau zu erkennen, die in der Fachliteratur – wie auch von Sarrazin – berücksichtigt wird. Die Angabe „22,5 Prozent“ ist dagegen völlig fiktiv, da hier die sehr hohe Zahl türkischer Schulabbrecher nicht berücksichtigt wird.

Solche amateurhaften Fehler finden sich in der Studie zuhauf; ihnen nachzugehen, würde Seiten füllen. Es bleibt dem Leser überlassen, hier Böswilligkeit oder fachliche Inkompetenz zu unterstellen. In jedem Fall sei den Autoren die Veranstaltung eines Institutskollegen empfohlen: „Empirische Sozialforschung I“, jeden Donnerstag von 10 bis 12 Uhr. Viel Erfolg!

Die Studie der Berliner Humboldt-Universität im Internet: www.heymat.hu-berlin.de

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