© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/11 14. Januar 2011

Vorgeburtliche Selektion
Gerne mal Gott spielen
Birgit Kelle

Wenn wir ungeborenen, behinderten Menschen das Lebensrecht absprechen, wie sieht es dann eigentlich mit Menschen aus, die erst im Laufe ihres Lebens, etwa durch einen Unfall, geistig oder körperlich behindert werden. Wenn wir uns Selektion vor der Geburt anmaßen wollen, warum nicht auch nach der Geburt? Ach so, ja, ganz schwierig in Deutschland... Sie denken, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun? Nur weil die Diskussion ein bißchen heikel ist und sich kein Politiker mit dergleichen Lorbeeren bekleckern möchte? Und wer teilt das dann den Behindertenverbänden mit? Herr Lindner von der FDP?

Behinderte verursachen Kosten und Mühen und wir müssen auch noch dafür zahlen – dergleichen Berechnungen gibt es in den Schubladen der Krankenkassen schon lange. Also weg damit. Sozialverträgliches Frühableben und die Welt ist wieder schön, schlank, gesund und hip. Wie? Ach so, das gilt nicht für Sie persönlich? Sie wollen dennoch weiterleben, auch wenn Sie Arbeit und Mühe für andere verursachen? Ist ja auch immer einfacher über etwas zu entscheiden, wenn man nicht persönlich betroffen ist. So ist es auch jetzt bei der Diskussion um PID. Die Diskutanten stehen ja mit ihrem Leben nicht selbst zur Disposition. Da läßt sich mal gerne Gott spielen.

Der Grad unserer Menschlichkeit, der wahre Humanismus mißt sich aber gerade an den Taten, die wir tun, ohne es zu müssen. Nackter Überlebenskampf ist nicht heroisch. Hingabe, Mühe, Aufopferung ohne Gegenleistung. Liebe. Das macht den Menschen aus. Wir versagen im Umgang mit unserer eigenen Spezies, wollen aber ständig die Welt retten. Wir schützen Gänseblümchen und streunende Hunde, ketten uns an Bäume. Jeder Borkenkäfer am Rande einer Startbahn kann in unserer Gesellschaft auf mehr Solidarität hoffen als ein wehrloses, ungeborenes Kind, das nicht in eine DIN-Norm paßt.

Wir können nicht gegen die Todesstrafe sein und im gleichen Atemzug für Selektion durch PID, Abtreibung oder Euthanasie. Nur weil Sie demjenigen, den Sie umbringen wollen, nicht in die Augen sehen können? Ein befreundeter Gynäkologe, der unsichere, schwangere Frauen berät, läßt sie als erstes ihr Kind auf einem 3-D-Ultraschallbild sehen: Keine dieser Frauen hat jemals ihr Kind getötet.

 

Birgit Kelle ist Journalistin, Mutter, Vorsitzende des Vereins Frau 2000plus und Mitglied der New Women for Europe

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