© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/11 14. Januar 2011

Eins, zwei, viele Diskriminierungen
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz: Eine Studie plädiert dafür, angebliche Benachteiligungen von Einwanderern doppelt und dreifach zu entschädigen
Hans Christians

Das sogenannte Antidiskriminierungsgesetz hat in der Bundesrepublik Deutschland für viel Aufsehen gesorgt. Als es im Jahr 2006 unter dem Namen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz in Kraft trat, gab es im Vorfeld große Befürchtungen vor einer Prozeßflut. Mittlerweile gehört das Gesetz zum Alltag in der Bundesrepublik – aber es gibt nach wie vor auch juristische Auseinandersetzungen, gerade im Arbeitsrecht. Um diese Dinge von seiten der Politik zu regeln, hat der Bund vor einiger Zeit eine Antidiskriminierungsstelle ins Leben gerufen, die vor einigen Tagen ihren ersten Bericht vorlegte.

Mehr als hundert Seiten stark ist das Papier und maßgeblich daran mitgewirkt hat die Juristin Susanne Baer, die zu Jahresbeginn als Verfassungsrichterin nach Karlsruhe gewechselt ist. Die 46jährige, die bislang an der Berliner Humboldt-Universität gelehrt hat, gilt als überzeugte Feministin. Seit Jahren erstellt Baer für verschiedene deutsche Ministerien Studien zum Thema Gleichstellung. Sie untersucht, wie sich bestimmte Entscheide auf die jeweilige Situation von Männern und Frauen auswirken. Baer setzt sich für gemischte Gremien an Unternehmensspitzen und in der Politik ein.

Interessant ist auch das Dossier, welches unter maßgeblicher Mitarbeit von Frau Baer der Bundesregierung übergeben wurde. Neu ist vor allem, daß mittlerweile zwischen einfacher und mehrdimensionalen Diskriminierungen unterschieden wird (Kommentar Seite 2). Eine mehrdimensionale Diskriminierung liegt beispielsweise dann vor, wenn eine muslimische Frau mit Kopftuch bei der Stellensuche abgewiesen wird und der Arbeitgeber argumentiert, er wünsche keine weiblichen Beschäftigten ausländischer Herkunft. Hier wird die Bewerberin also als Frau, als Migrantin und wegen ihrer Religion diskriminiert. Der Bericht wurde in enger Zusammenarbeit mit dem 14köpfigen Beirat der ADS sowie gemeinsam mit dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages sowie dem Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten erarbeitet. Zum Anhang des Berichts zählen auch zwei wissenschaftliche Expertisen zum Thema mehrdimensionale Diskriminierungen.

Geradezu skuril wirkt der Bericht, wenn sich die Experten seitenweise etwa über sogenannte Diskotheken-Fälle Gedanken machen: Was ist, wenn einem jungen Mann mit Migrationshintergrund der Zutrtitt verwehrt wird? Oder gar, wenn es eine Frau trifft? Für solche Fälle bietet die Behörde ein Formular an, das ausgefüllt an die entsprechende Beratungsstelle geschickt werden kann. In den vergangenen vier Jahren gingen auf diesem Weg 5.500 Anfragen und Beschwerden ein, die ADS gibt anschließend Ratschläge für eventuelle juristische Verfahren. Rund fünf Prozent der Eingänge betrafen mehrdimensionale Diskriminierungen.

Interessant ist die Studie vor allem deshalb, weil sie in vielen Fällen Einfluß auf arbeitsrechtliche Prozesse genommen hat. Wird jemand aufgrund seiner Hautfarbe abgelehnt, so kann er zwar nur in den seltensten Fällen Anspruch auf den Arbeitsplatz einklagen, wohl aber eine finanzielle Entschädigung erstreiten. Handelt es sich bei der betreffenden Person dann noch um eine Frau, so forderten in der vergangenen Woche bereits Migranten-Verbände, solle in dem Fall auch eine höhere Entschädigung zugesprochen werden.

Für findige Rechtsanwälte eröffnen sich ganz neue Perspektiven: Was ist, wenn es sich um eine Frau handelt, die nicht nur Migrationshintergrund hat, sondern darüber hinaus auch noch lesbisch ist? Kann man einem Arbeitgeber nachweisen, daß er sich gegen die
Bewerberin entschieden hat, weil er keine Frau, keine Lesbe und keine
Migrantin will? Dies würde dann eine Dreifach-Entschädigung nach sich ziehen. Man darf gespannt sein, wie Susanne Baer als Verfassungsrichterin darüber urteilen wird.

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