© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/11 21. Januar 2011

Wenn Wutbürger wählen
Wird im Superwahljahr das etablierte Parteiensystem durch neue Kräfte aufgemischt?
Kurt Zach

Mal wieder Superwahljahr. Nimmt man die anonymen Frustbotschaften zum Gradmesser der Stimmung im Wahlvolk, die schon jetzt die Kommentarspalten der großen Nachrichtenportale fluten, scheint die Sache klar: CDU, FDP, Grüne, SPD und Linke werden als abgewirtschaftete Einheitspartei wahrgenommen, deren Sympathiewerte im Volk ähnlich bescheiden ausfallen wie die des von Egon Krenz angeführten letzten Aufgebots des SED-Politbüros. Fragt sich nur: Werden politische Alternativen auf der Rechten in den sieben Landtagswahlen des Jahres 2011 von Unzufriedenheit und Proteststimmung profitieren und gestärkt werden, oder bleibt es bei den üblichen minimalen Gewichtsverschiebungen im linkslastigen Parteienoligopol?

Vordergründig verlangt die Lage geradezu danach, daß in Deutschland endlich nachgeholt wird, was in Skandinavien und zahlreichen anderen europäischen Ländern längst akzeptierte Realität ist – daß nämlich eine demokratisch legitimierte rechte Opposition sich als Reaktion auf das multiple Versagen der etablierten Politik durchsetzt und diese vor sich hertreibt und korrigiert. Das Euro-Desaster und die bevorstehende Enteignung des deutschen Wohlstands im Rahmen eines gigantischen europäischen Finanzausgleichs, die spätestens seit Sarrazin nicht mehr zu leugnende Widerlegung der Multikulturalismus-Ideologie durch die fatale Verkettung von gescheiterter Integration, Bildungskatastrophe, Deutschenfeindlichkeit und Überdehnung des Sozialstaats, die allmähliche Erdrosselung der arbeits- und leistungswilligen Mittelschicht durch den Schulden-, Steuer- und Umverteilungsstaat, das wachsende Unbehagen an Islamisierung und Christenverfolgung – nahezu alle großen politischen Themen, die auch dieses „Superwahljahr“ bestimmen werden, sind „rechte“ Themen.

Wählerstimmen für rechts verortete Parteien werden daraus indes nicht automatisch. Das hat nachvollziehbare Gründe: Viele kennen die Alternativen gar nicht, von denen die meisten Medien hartnäckig nur Oberflächliches und Negatives berichten; und die Gleichung „rechts gleich böse“ ist tief in die Köpfe eingebrannt.

Wer allen Informationsfiltern zum Trotz nach nichtlinken Alternativen zum etablierten Parteienblock sucht, stößt zunächst auf ein breites Spektrum kleiner und kleinster Parteien, in dem eingeführte, aber verblaßte Markennamen neben zahlreichen neu entstandenen Initiativen und Projekten stehen. Was auf den ersten Blick verwirrend und unübersichtlich wirkt, hat gleichwohl deutliche Strukturen, entlang derer wichtige Klärungsprozesse in Gang gekommen sind.

Läßt man die diffamierenden und pauschalisierenden Fremdbestimmungen beiseite, lassen sich rechts der Union zwei grundsätzliche Strömungen ausmachen: eine eher sozialistische, auf „Systemüberwindung“ ausgerichtete, die in Darstellung und Ideologie zum provokativen Spiel mit NS-nostalgischen Versatzstücken neigt; und eine eher freiheitlich-konservative, deren häufig nur regional oder lokal agierende Gruppierungen sich an gemeinhin unter dem Schlagwort „rechtspopulistisch“ subsumierten, modern und erfolgreich auftretenden Vorbildern in anderen europäischen Ländern orientieren und mit diesen zum Teil rege Kontakte pflegen.

Das rechtssozialistische Lager wird von der NPD praktisch vollständig abgedeckt, die nach der zum Jahresbeginn verkündeten Fusion mit der DVU ihr Potential weitgehend ausgeschöpft hat und zur Zeit als einzige Partei rechts der Union auch über zwei Landtagsfraktionen verfügt. Medienaufmerksamkeit erreicht die NPD vor allem dort, wo sie zuverlässig die Klischeevorstellungen professioneller „Antifaschisten“ bedient. Obwohl es auch gemäßigtere Strömungen gibt, wird das Bild von martialischer Rhetorik und aggressivem Auftreten bestimmt, das im Westen der Republik nur einen kleinen geschlossenen Kreis Hartgesottener anzusprechen vermag. In Mitteldeutschland, wo sie sich auf die Verteidigung der Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern und auf die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt konzentriert, könnte sie, weniger wegen konkreter Aussagen als aufgrund ihres dortigen „Allein gegen alle“-Image, gleichwohl wieder Erfolge erzielen.

Auch im rechtskonservativen Lager findet mit der Annäherung von Republikanern und Pro NRW seit vergangenem Frühjahr ein Konzentrationsprozeß statt. Spätestens zur Bundestagswahl 2013 oder zur Europawahl 2014 wollen beide in gemeinsamer Formation antreten und bis dahin weitere Verbündete gewinnen.

Die größte Aufmerksamkeit wird sich in diesem Jahr auf die Landtagswahlen in Bremen und Berlin richten. In der Hansestadt sagen Umfragen dem Projekt „Bürger in Wut“ des standhaften „Law and order“-Einzelkämpfers Jan Timke als Lohn für seine unermüdliche Parlamentsarbeit das Knacken der Fünfprozenthürde voraus, während in Berlin die Neugründung „Die Freiheit“ des ehemaligen CDU-Abgeordneten René Stadtkewitz sich erstmals den Wählern stellt. Mit dem Islamkritiker, der sich trotz inhaltlicher Berührungspunkte scharf von Republikanern und Pro-Bewegung abgrenzt, konkurriert in der Hauptstadt die Bürgerbewegung Pro Deutschland.

Vieles spricht dafür, daß erst im Herbst nach den letzten Wahlgängen erkennbar wird, ob und mit welchen Teilnehmern eine neue freiheitlich-konservative Partei in Deutschland möglich ist. Die unverblümte Einladung des neuen Focus-Chefredakteurs Wolfram Weimer, eine konservative Unions-Abspaltung medial zu unterstützen, wagte im vergangenen Jahr keiner der Angesprochenen anzunehmen. Wer immer sich anschickt, das deutsche Parteiensystem zu verändern, wird auf Dauer nicht erfolgreich sein können, ohne solche mediale Wahrnehmung und Schützenhilfe zu gewinnen.

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