© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/11 21. Januar 2011

Alle Jahre wieder
Dresden: Gedenkpolitik wird zur Farce
Paul Leonhard

Für die deutsche Linke ist Christian Avenarius ein rotes Tuch. Der Dresdner Oberstaatsanwalt war es, der Anfang 2010 Plakate beschlagnahmen ließ, mit denen ein „antifaschistisches Bündnis“ zu Blockaden gegen eine genehmigte Demonstration der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) aufrief. Diese sowie das „Aktionsbündnis gegen das Vergessen“ wollten am 13. Februar in einem Trauermarsch an den Jahrestag der Zerstörung Dresdens durch angloamerikanische Bomber erinnern. Avenarius war es auch, der „gegen Abgeordnete der Linken aus Länderparlamenten und dem Deutschen Bundestag“ ermitteln ließ, wie jetzt André Hahn, Chef der sächsischen Landtagsfraktion der Linken, beklagt.

Hahn gehörte zu jenen, die damals in vorderster Reihe standen, um die Gedenkveranstaltung der JLO zu verhindern. Inzwischen ist das Ermittlungsverfahren abgeschlossen und die Dresdner Staatsanwaltschaft hat gegen Hahn sowie die Linken-Fraktionschefs in Thüringen und Hessen, Bodo Ramelow, Willi van Ooyen und Janine Wissler, wegen federführender Beteiligung an den Protestaktionen die Aufhebung der Immunität beantragt. Es werde versucht, „an meiner Person ganz offenkundig ein Exempel“ zu statuieren, sagte Hahn auf einer Pressekonferenz: „Friedlicher Widerstand gegen neofaschistische Umtriebe ist weder politisch motivierte Kriminalität, noch a priori links, sondern ist eigentlich Verfassungsauftrag aller Demokraten.“ Das sehen auch die Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) und Petra Pau (Linke) sowie Verdi-Vorsitzender Frank Bsirske so. Die drei gehören zu den Erstunterzeichnern eines Aufrufs des Bündnisses „Nazifrei! – Dresden stellt sich quer“, in dem erneut zur Blockade eines Trauermarsches am 13. Februar aufgerufen wird. Man halte an dem Ziel fest, „Europas größten Naziaufmarsch endgültig Geschichte werden zu lassen“, heißt es auf der Internetseite des Bündnisses. Allerdings haben die selbsternannten Antifaschisten ein logistisches Problem: Der politische Gegner hat zwei Demonstrationen angemeldet. „Aktionsbündnis gegen das Vergessen“ und JLO eine Gedenkveranstaltung mit Trauermarsch für den 13. Februar. Und am 19. Februar haben „mehrere patriotische Organisationen voneinander unabhängige Veranstaltungen im Innenstadtbereit von Dresden angemeldet, um das Recht auf Gedenken und Versammlungsfreiheit durch eine neue Veranstaltungsstrategie auch politisch geltend zu machen“, heißt es auf der JLO-Internetseite.

Eine Taktik, die das „Nazifrei“-Bündnis verunsichert. Es weiß nicht, auf welchen Termin es „die bundesweite antifaschistische Gegenmobilisierung“ legen soll: „Aus Orten, die mehr als mehrere hundert Kilometer von Dresden entfernt sind, lassen sich aus finanziellen und kräftemäßigen Gründen kaum an zwei nacheinander folgenden Wochenenden Busse nach Dresden organisieren.“ Unterstützung durch die Dresdner dürfte das Bündnis kaum finden. Zwar hat sich Oberbürgermeisterin Helma Orosz an die Spitze eines „Bündnisses 13. Februar“ gestellt, das eine Menschenkette bilden will. Zuvor hatte die Christdemokratin aber den Widerstand in der eigenen Stadtratsfraktion brechen müssen. Während alle anderen  Ratsfraktionen, Kirchen, Gewerkschaften sowie Vereine und Verbände keine Bedenken hatten, sich von links vereinnahmen zu lassen, lehnten die konservativen Stadtpolitiker der CDU den Schulterschluß ab. Statt großer Aktionen favorisierten sie wie die Masse der Dresdner ein stilles Gedenken an die Bombenopfer.

So benötigte Orosz vierzehn Anläufe, ehe ihre Fraktion die Abgrenzung zu den SED-Nachfolgern und deren linksextremistischen Unterstützern für ausreichend hielt und dem Aufruf zustimmte. Man unterstütze alle Initiativen, die friedlich und demokratisch sind, heißt es in dem Papier. Ob damit auch die vor allem von der Linkspartei und Autonomen beabsichtigten Straßenblockaden gemeint sind, ist offen. Im vergangenen Jahr hatte die Staatsanwaltschaft Dresden im Vorfeld des 13. Februar darauf aufmerksam gemacht, daß Aufrufe zu einer Blockade genehmigter Demonstrationen als Straftat einzustufen sind. Diesmal wollte die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen Mitte Januar noch einmal auf die Rechtslage aufmerksam machen. Sie lud zu einer Diskussion zum Thema „Blockaden gegen Neonazis – geboten oder verboten?“ ein. Unter politischen, juristischen und historischen Aspekten sollte ausgelotet werden, ob Blockaden von „Neonazi-Demonstrationen nicht nur moralisch verständlich, sondern auch politisch legitim oder gar juristisch legal“ sind. Als Moderator war ein Mitglied der Arbeitsgemeinschaft angekündigt: Oberstaatsanwalt Christian Avenarius.

Foto: Die Polizei ging 2010 in Dresden gegen linke Blockierer vor:  „Verfassungsauftrag aller Demokraten“

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