© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/11 21. Januar 2011

Kontinuität und Wandel zugleich
Generationswechsel beim Front National: Marine Le Pen folgt in einer Urwahl ihrem Vater als Vorsitzende
Friedrich-Thorsten Müller

In Tours, wo im Jahr 732 Karl Martell die Mauren vernichtend schlug,  leitete der Front National am vergangenen Wochende, nach fast 40 Jahren unter dem Gründungsvorsitzenden Jean-Marie Le Pen, eine neue Ära ein.Der 82jährige hatte schon vor längerer Zeit seinen Rückzug aus der Politk  angekündigt, um sich seinen Memoiren zu widmen.

Da es mit Bruno Gollnisch als Vertreter des altrechten Flügels und Marine Le Pen, als Modernisiererin, zwei ernsthafte Bewerber um die Nachfolge gab, entschied man sich für eine schriftliche Mitgliederbefragung. Mit einer Beteiligung von 76,4 Prozent der 22.403 Parteimitglieder traf diese Urwahl auf großes Interesse. Das bei einem Parteikongreß in Tours verkündete Ergebnis von 67,7 Prozent Zustimmung für  die 42jährige Marine Le Pen, die damit neue Parteivorsitzende wurde, kam nicht wirklich überraschend.

Selten steht eine Personalie gleichzeitig so für Kontinuität und für den Wandel. Marine Le Pen räumte als bisher  stellvertretende Parteivorsitzende konsequent spektakuläre Positionen Jean-Marie Le Pens, der sich immer wieder mit problematischen Äußerungen zum Zweiten Weltkrieg oder den Juden hervortat. Vor allem gilt aber, daß man der adretten Mutter dreier Kinder auch außerhalb des Front National bestätigt, jenes Politiker-Gen ihres Vaters geerbt zu haben und bei den Bürgern anzukommen.

Schon vor der Vorstandswahl wurde der Europaabgeordneten in Meinungsumfragen zugetraut, bei den  Präsidentschaftswahlen 2012 bis zu 18 Prozent der Stimmen zu erreichen. 57 Prozent der Franzosen sehen sie laut einer Umfrage von Opinion Way für die Zeitung  Métro darüber hinaus bei dieser Wahl – wie es 2002 ihrem Vater gelang – in der Stichwahl.

In einer fast einstündigen programmatischen Rede verdeutlichte Marine Le Pen, was sie unter der Modernisierung des Front National versteht, den sie durchaus ernst gemeint an die Macht führen will. Zuvorderst möchte sie die „Entdämonisierung“ der Partei vorantreiben. Tatsächlich verschiebt sie die Akzente deutlich von klassischen „Frankreich den Franzosen“-Parolen weg, hin zu einer modernen globalisierungs- und EU-kritischen Partei, die sich in eine europäische Phalanx der Islamisierungsgegner einreiht.

Marine Le Pen kündigt einen Kampf für die Laizität an, mit dem sie in Frankreich halal geschlachtetes Fleisch in Kantinen verhindern will. Sie argumentiert dabei bewußt nicht christlich-abendländisch, was man auch an ihrer Befürwortung des Rechts auf Abtreibung sehen kann. Dies ist ein Richtungswechsel des Front National, der den katholischen Traditionalisten unter den Parteigängern nicht unbedingt gefallen wird.

Auch der Umweltschutz spielt eine sehr ernsthafte Rolle in ihrem Programm, so zum Beispiel als Argument gegen Firmenverlagerungen ins Ausland. Sie verbindet diesen betont mit einer konsum- und kapitalismuskritischen Haltung gegenüber einem Materialismus, „der die Menschen nur noch danach beurteilt, was sie haben, anstatt danach, was sie sind“.

Die Europäische Union wird übrigens nicht an sich abgelehnt, sondern entwickelt sich ihrer Meinung nach lediglich von einer „schönen Idee der europäischen Verständigung“ hin zu „einem technokratischen, totalitären und freiheitsschädlichen Projekt“.

Als Reaktion auf die Krise der europäischen Einheitswährung strebt Marine Le Pen Frankreichs Austritt aus der unpopulären Gemeinschaftswährung an. Auch stellt sie klar, daß sie Entscheidungskompetenzen wieder aus Brüssel zurückholen will. Die Forderung des Front National nach der Wiedereinführung der Todesstrafe, die in Frankreich vor 30 Jahren abgeschafft wurde, hält sie darüber hinaus aufrecht.

Der unterlegene 60jährige Bruno Gollnisch verzichtete bei dem Kongreß auf das ihm angetragene Amt des stellvertretenden Parteivorsitzenden, „um den Weg für einen Neuanfang frei zu machen“. Gollnisch gehört als Beisitzer aber weiterhin dem Vorstand an. Denn immerhin 45 Prozent der Mitglieder des neu gewählten Parteivorstands sind mit ihm auch zukünftig dem altrechten Lager zuzuordnen.

Im Anschluß verabschiedete sich Jean-Marie Le Pen unter tosendem Beifall der bewegten Delegierten von der großen politischen Bühne, nicht ohne jedoch zuvor noch zum Ehrenpräsidenten des Front National gewählt worden zu sein.

Foto: Marine Le Pen zusamen mit Jean-Marie nach dem Wahlsieg: Das Politiker-Gen vom Vater geerbt

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