© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/11 21. Januar 2011

Jude, Ungar, Deutscher, Rumäne
Nachruf: Mit Ivan Denes verliert die deutsche Literaturszene ihren letzten großen k.u.k. Schriftsteller
Ronald Gläser

Der rumänische Geheimdienst war Ivan Denes auf die Schliche gekommen: Der Autor wollte einen Text im Westen veröffentlichen. Wegen Hochverrats ist er deswegen 1958 zu zwanzig Jahren Haft verknackt worden. Er saß bis 1964 im Knast, wo „die Tage langsam vergehen“ – all das wegen einer harmlosen Veröffentlichung.

Zeit seines Lebens träumte Ivan Denes, geboren 1928 in Temeschwar im Banat, davon, ein angesehener Schriftsteller zu sein. Bei der Verwirklichung seines Traums jedoch ist er immer wieder in Konflikt mit den Autoritäten geraten. Schon in seiner Jugend hätte er für ein falsches Wort in Schwierigkeiten kommen können. Doch seine Familie hat die Kriegszeit und die Judenverfolgung weitgehend unbeschadet überstanden.

Mit dem Kriegsende verband er die Hoffnung auf eine neue, Glück verheißende Ordnung: den Kommunismus. Kaum volljährig trat Ivan Denes in die KP Rumäniens ein. 1947 trat er wieder aus. „Ich war geheilt“, pflegte er über diesen jugendlichen Fehltritt zu sagen. Fortan lebte er im Clinch mit dem System. Schon bald erfolgte die erste Verhaftung.

Denes studierte Philosophie in Klausenburg und Bukarest und arbeitete danach als Autor und Übersetzer, bis ihm seine Kontakte in den Westen die Haftstrafe einbrachten. Nach seiner Entlassung durfte er 1966 seinen ersten Roman „Die Tauben“ veröffentlichen, den nächsten jedoch kassierte 1969 die rumänische Zensurbehörde. Denes hatte es satt und ergriff ein Jahr später die Gelegenheit, nach Israel auszuwandern.

Doch die Heimstatt der Juden wurde ihm keine zweite Heimat. Es gefiel ihm dort nicht. Als Kind des Balkan-Schmelztiegels Banat, wo Juden, Ungarn, Deutsche und Rumänen friedlich zusammenlebten, war Ivan Denes sprachgewandt genug – er beherrschte ferner Französisch, Englisch und Italienisch –, um es auch noch woanders zu versuchen: Es zog ihn nach Deutschland. Vorbehalte gegenüber dem „Tätervolk“ waren ihm fremd.

Im Gegenteil. Denes hat seine zweite Lebenshälfte in Berlin verbracht und hat mehr mit der deutschen Kultur am Hut gehabt als die hiesige „Elite“, die für ihn aus Banausen bestand. Ausnahmen gab es wenig. Freundschaftlich verbunden war er mit CDU-Größen wie Heinrich Lummer, dem Verleger Joachim Siegerist und dem Politikwissenschaftler Bernd Rabehl.

Denes hatte viel Spott für seine Gegner übrig und trug zudem diesen typisch jüdischen Witz in sich. Zu meiner Hochzeit brachte er ein riesiges, kostbares Küchenmesser mit japanischen Schriftzeichen mit. Vermutlich lassen sich damit Wale ausnehmen. Er sagte trocken: „Das ist mein Geschenk – für den ersten Ehekrach.“ Als echter Jude machte er auch vor sich selbst nicht halt: Er bezeichnete sich gerne als „Tintenjude“, der im Gegensatz zum gemeinen „Geldjuden“ nur etwas vom Geldausgeben versteht, nicht aber vom Geldverdienen. Geld war oft ein Problem im Hause Denes. Er liebte seine Frauen, große Autos, la dolce vita. „Wir verdienen Geld, um es wieder auszugeben“, war die Maxime des viermal verheirateten Mannes mit einem Spleen für Hüte und Mützen aller Art.

In den ersten Jahren in Deutschland ließen die Alltagspflichten und  die Fest-anstellung im Axel-Springer-Konzern dem dreifachen Familienvater keine Zeit für seinen Traum vom Schriftstellerdasein. Mit seiner kompromißlos-konservativen Haltung hat er sich obendrein im Verlagsgeschäft nicht nur Freunde gemacht. Aus dem Springerkonzern schied er 1983 aus, um als freier Journalist zu arbeiten. Nicht zuletzt auch für die JUNGE FREIHEIT.

Nun fand er auch Zeit zum Schreiben. Denes legte mehrere großartige Bücher vor, die vom linken Kulturbetrieb zu Unrecht stiefmütterlich behandelt worden sind – darunter „Angor Pectoris“, „Die Bücher der Schlaflosigkeit“ und zuletzt „Politisch unkorrekt“. In den letzten Wochen hat er an der Fertigstellung eines weiteren Buches gearbeitet. Es ging kurz vor seinem Tod in die Druckerei. Was für eine traurige Ironie: In einem von Denes’ Büchern schildert seine Hauptfigur die Angst vor dem Tod, weil ein angefangenes Manuskript noch nicht fertiggestellt ist. „Was man anfängt, das bringt man auch zu Ende“, reißt sie sich dann zusammen und besiegt damit die Todessehnsucht.

So scheint es jetzt auch bei ihm selbst gewesen zu sein. Ivan Denes sprach oft über das Buch, das er vor seinem Tod noch fertigstellen wollte. Er hatte aber auch schon wieder neue Pläne geschmiedet: ein neues Buch, eine neue Reise. Am vergangenen Sonntag wollte er zu einem Neujahrsempfang gehen, Freunde treffen, mit Kollegen sprechen. Dazu kam es nicht mehr. Der Tod war schneller. Am Sonnabend kam Ivan Denes ins Krankenhaus. Intensivstation. Am Sonntag ist er nach einem letzten Gebet mit einem Rabbi für immer eingeschlafen. Sein Tod bedeutet einen schmerzhaften Verlust, weil Persönlichkeiten wie Ivan Denes nur auf dem Humus der untergegangenen k.u.k. Welt gedeihen konnten. Mit Denes geht einer der letzten Vertreter dieser Ordnung, ein großartiger Schriftsteller  – und ein verdammt guter Freund.

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