© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/11 21. Januar 2011

Pankraz,
G. Smiley und das Ende der Abwehr

Pünktlich zur Super-Affäre um Wikileaks gab es im Fernsehen eine große Dokumentation zum Thema Geheimdienste und Spionage, aufgehängt an der Person John Le Carrés, des großen Autors von Geheimdienstromanen, dessen neuere Bücher sich freilich lieber mit den dunklen Machenschaften nichtstaatlicher Waffenschieber und anderer Gangster beschäftigen statt mit „richtigen“ Geheimdiensten. Die literarische Attraktion und Verwertbarkeit „richtiger“ staatlicher Geheimdienste, sagt John Le Carré, ist verschwunden. Es gibt faktisch keine staatlichen Geheimnisse mehr, sie sind nur noch dazu da, um enthüllt zu werden.

Der Mann hat nur allzu recht, zumindest was das Thema „Spionage“ betrifft. Die moderne Daten-Wirklichkeit hat alle Agentenherrlichkeit von einst schneidend außer Kurs gesetzt. Das traditionelle Spionage- bzw. Abwehrarsenal wird Zug um Zug eingemottet. Ein einziger Forschungssatellit ersetzt heutzutage ganze Bataillone von Kim Philbys. Die „Genossen von der unsichtbaren Front“ sind in die Archive abgewandert, wo sie Zeitungen und Fachzeitschriften auswerten; damit lassen sich sehr viel umfassendere Einsichten gewinnen als etwa durch Spitzeltätigkeit von Vorzimmerdamen mit problematischem Liebesleben.

Davon zeugte übrigens vor Jahren schon, kurz nach der Wende, jene berühmte Satireserie der britischen BBC „Edgar Briggs, das As der Abwehr“, in der sämtliche (realen oder fiktiven) Spione der herkömmlichen Art gnadenlos durch den Kakao gezogen wurden, ob sie nun James Bond oder George Smiley hießen. Geheimdienstler erschienen dort nur noch als lizenzierte Trottel, und das Publikum genoß es.

Edgar Briggs besaß keine Lizenz zum Töten mehr, sondern lediglich noch eine Lizenz, gegnerische Agenten zum Mittagessen einzuladen. Seine Revolver lagen, wenn es ernst wurde, immer in der untersten Schublade und hatten zudem noch permanent Ladehemmung. Statt smarte junge Superkätzchen zu vernaschen, ließ er sich von seinem Eheweib mit dem Nudelholz verprügeln, legte tote Briefkästen grundsätzlich nur im eigenen Schrebergarten an und versteckte Mikrofilme just unter dem Spiegelei, das er gerade verzehren wollte.

 So dämlich oder so zerstreut war Edgar Briggs, daß er nach Beendigung eines Ferngesprächs nicht den Hörer, sondern seine Shagpfeife in die Telefongabel zurücklegte – und sich darüber wunderte, daß er mit dem in seiner Hand verbliebenen Hörer nicht rauchen konnte. Er schrieb an sich selbst vertrauliche Briefe in unsichtbarer Tinte und kannte kein Mittel, um die Texte wieder sichtbar zu machen. Er schmiß die vielen Spitzelberichte, die eingingen, aus Versehen in den Müllschlucker und legte die Pizza-Rezepte seiner Tochter unter „streng vertraulich“ ab.

Viel gelacht wurde über Edgar Briggs, doch manchem blieb das Lachen schon damals im Halse stecken, und heute ist es vollends verstummt. Denn man mußte lernen, daß sich Spionage alten Stils zwar nicht mehr lohnte, die Geheimdienste darüber aber keineswegs ausstarben. Sie ordneten nur ihre Tätigkeitsfelder neu. Lizenzen zum Ausspionieren des Gegners (oder auch des sogenannten Freundes) wurden überflüssig, doch die Lizenzen zum Töten vermehrten sich im Zeichen des „Kampfes gegen den internationalen Terror“ wie Bakterien in der ungewaschenen Achselhöhle.

Genau dieses ist es ja, was dem John Le Carré von heute so unendlich zu schaffen macht. Schon sein Alter ego George Smiley aus der Zeit des Kalten Krieges hatte darunter gelitten, daß man – wie er sich einbildete – den grausamen Methoden des sowjetischen KGB manchmal in gleicher Weise begegnen müsse: Folter gegen Folter. Mord gegen Mord usw. Inzwischen haben sich, konstatiert Le Carré, einige westliche Abwehrdienste, die CIA, der Mossad, voll auf die „Arbeit“ der Terroristen eingestellt. Sie verüben Morde, haben vielerorts im Ausland Folterzentren eingerichtet, sie sind zu staatlich angestellten Terroristen geworden.

In den neuen Büchern von John Le Carré spiegelt sich diese unheimliche Entwicklung durchaus wider, doch der Autor selbst hält sich bedeckt, genauer: er ist unsicher, er lehnt geheimdienstlich-staatliche Terrormethoden spontan ab, glaubt andererseits, daß es in diesem Geschäft ohne „Gleichheit der Waffen“ letztlich immer nur einen Sieger geben könne, den grausameren, und daß man das nicht hinnehmen dürfe. Seine mentale Unsicherheit ist so groß, daß darunter die literarische Qualität der neuen Carré-Bücher leidet.

Vittorio Hösle von der Universität Notre Dame in Indiana (USA) hat darüber schon 2005 eine interessante Studie vorgelegt, die Pankraz allen Interessierten empfehlen kann: „Berufsethik der Geheimdienste und Krise der hohen Politik. Philosophische Betrachtungen zum literarischen Universum von John Le Carré“. Hösle stellt klipp und klar fest: Staatlich bezahlte Auftragskiller widersprechen frontal jeder demokratischen Rechtsstaatlichkeit, sie werden durch keine politische Situation je gerechtfertigt, es sind Verbrechen, und ihre krampfhafte Geheimhaltung ist ebenfalls ein Verbrechen.

So wie es eine absolute moralische Notwendigkeit ist, daß die russische Regierung die bluttriefenden GPU- und NKWD-Archive aus Sowjetzeiten freigibt, so ist es ebenso moralisch geboten, daß die Öffentlichkeit über aktuell verübte Bluttaten westlicher Geheimdienste erfährt, auch wenn diese als bloße Vergeltungsschläge oder Racheakte abgetan und beflissen sekretiert werden. Keine Staatsräson deckt das. Die Räson von Rechtsstaaten erwächst nicht aus der Rache, sondern aus dem Gesetz.

Natürlich ist kein Autor dazu verpflichtet, in seinen Romanen für die Räson von Rechtsstaaten einzutreten und einschlägige Verstöße an die Öffentlichkeit zu ziehen. Wikileaks freilich, mit der sich John Le Carré vergleicht, hat sich ausdrücklich dazu verpflichtet; von dieser Verpflichtung hängt seine ganze Daseinsberechtigung ab. Sie ist eben eine Instanz der politischen Wirklichkeit, das unterscheidet sie von bloßer Literatur.

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