© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/11 21. Januar 2011

Lockerungsübungen
Siegeszug der Demokratie
Karl Heinzen

Ben Ali ist gestürzt, und wenn dem tunesischen Volk nicht wieder finstere Mächte in den Arm fallen, wird es sein Land schon bald in den Kreis der blühenden Demokratien einreihen. Damit folgt unser maghrebinischer Nachbar einem globalen Trend, der der immer nur auf Krisen, Konflikte und Katastrophen schauenden deutschen Öffentlichkeit gar nicht recht bewußt ist. Seit der Niederringung des Hitlerreiches ist die Demokratie weltweit auf dem Vormarsch. Auch kleinere Rückschläge konnten diesen Siegeszug nicht aufhalten. Waren von den 79 Staaten, die im Jahr 1950 als solche anzusehen waren, gerade einmal 23 demokratisch regiert, so sind es heute 94 von 163. Man sollte also nicht mehr schmunzeln, wenn in der Vollversammlung der Vereinten Nationen über Bürgerpartizipation und Menschenrechte debattiert wird. Die Repräsentanten, die hier das Wort ergreifen, sind überwiegend längst demokratisch legitimiert.

Die jüngst zu vernehmenden Stimmen, mit den Bürgerrechten müßte auch die Einflußnahme der Bevölkerung auf politische Entscheidungen eingeschränkt werden, bringen somit einen anachronistischen Standpunkt zum Ausdruck. Gewiß gibt es zumal in Asien autoritär regierte Staaten, die wirtschaftlich sehr erfolgreich sind. Wenn sich in ihnen mit wachsendem Wohlstand jedoch Mittelschichten etablieren, dürften auch diese kaum von der Forderung nach politischer Mitsprache abzubringen sein. Das Regieren wird dadurch keineswegs erschwert. Im Gegenteil: Eine Politik, die der sozialen Mehrheit Opfer abverlangt, stößt nur dann auf Akzeptanz, wenn sie den Eindruck vermitteln kann, daß sie von einer politischen Mehrheit getragen wird.

Es gibt kein historisches Beispiel, in dem eine Demokratie, so wie sie heute verstanden wird, jemals die Eigentumsverhältnisse durcheinandergebracht hätte. Ihre ungebrochene Stärke ist die Versuchung, die sie für jede sich noch so radikal gebärdende Opposition darstellt, nämlich durch Mitwirkung im parlamentarischen System von ihren Zielen zu lassen und damit zugleich den Wählern ein Ventil zu bieten, von dem keine Gefahr ausgeht. Vor allem aber überschätzen Kritiker der Demokratie die Rolle des modernen Staates: Da er immer weniger zu sagen hat, können die Bürger einer Demokratie auch kaum Schaden anrichten.

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