© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/11 21. Januar 2011

Administratoren sind vorzugsweise links
Wie das deutsche Feuilleton Wikipedia abfeiert und dabei vergißt, was für harte Kämpfe dort ausgefochten werden
Sverre Schacht

Zum zehnjährigen Jubiläum von Wikipedia überschlug sich das deutsche Feuilleton geradezu. Freude, wohin der Leser schaut. „Und es ward Wissen“, frohlockte Spiegel online. Die FAZ freute sich über das „demokratisierte Lexikon“. Die Zeit schließlich lobte, die kostenfreie Internetseite stände „nicht mehr im Ruf, lediglich zusammengeschriebenes Halbwissen zu versammeln“.

Doch Wikipedia ist nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen. Änderungen, Fehler und Autoren-Fehden lassen sich anhand der „Versionsgeschichte“ ablesen. Im deutschen Wikipedia mit 1,1 Millionen Beiträgen sind die Administratoren strenger als in kleineren, ausländischen Wiki-Varianten. Viel Geschriebenes haben sie bereits gelöscht. Nutzer, die mißliebige Meinungen vertreten, werden auch schon mal gesperrt, also dauerzensiert.  Was bleiben darf, ist, so Kritiker, nur scheinbar eine demokratische Entscheidung: Deutsche Administratoren bevorzugen die linksliberale Sicht.

Schon bei bestimmten Themen ist unabhängig von der Sichtweise die Löschung vorhersehbar. So hatte ein Artikel über den Vertriebenenverein „Europäische Union der Flüchtlinge und Vertriebenen“ bisher keine Chance, obwohl sich durchaus Nutzer fanden, die den Beitrag erweiterten, Belege beisteuerten. Er wurde gelöscht.

Auch der Begriff „Revanchismus“ ist prinzipiell umkämpft – das Ergebnis ist ein sehr kurzer, fast beliebiger Beitrag. Bei der nordkoreanischen Chuch’e-Ideologie findet sich dagegen kein Hinweis auf die Brutalität des Regimes, und zu Kim Jong-il genügt Wikipedia der lapidare Hinweis, südkoreanische Organisationen bereiteten eine Klage vor dem Internationalen Gerichtshof vor.

Von den mitunter „harten Kämpfen hinter den Kulissen“, so die Berliner Zeitung, erfuhr der Leser in der ganzen Jubelberichterstattung aber recht wenig. Und wenn sich Zeitungen wie die Berliner doch dem Thema widmen, dann nur über ermüdende Debatten darüber, ob Hannover nun eine Weltstadt ist oder nicht.

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