© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/11 21. Januar 2011

Rhetorische Kapriolen läuten das Kleist-Jahr 2011 ein
Wenigstens kein „Vorläufer der Nazis“
 (ob)

Das Kleist-Jahr ist eröffnet. Das Hochglanz-Magazin Literaturen (1/2011) läßt sich nicht lumpen und verdoppelt, um den „Krieger der Poesie“ zu feiern, dessen Freitod sich erst im November zum 200. Mal jährt, den Umfang. Das viele Papier kann jedoch kaum darüber hinwegtäuschen, daß das bundesdeutsche Kultur-establishment wenig mit dem preußischen Offizier und Beamten, Dramatiker, Erzähler und journalistischen Kämpfer gegen Napoleon anzufangen weiß. Den publizistischen Nationalisten und brachialen „Theoretiker des ungerechten Krieges“ versucht der als Literaturhistoriker befragte Jan Philipp Reemtsma daher mit einigen Platitüden zu seinem Lieblingsthema „Gewalt“ zu neutralisieren. Distanz und Ratlosigkeit angesichts der Kleistschen „Hermannsschlacht“ oder des Gedichts „Germania“ („Schlagt ihn tot! das Weltgericht/Fragt euch nach den Gründen nicht!“) sind damit nicht aufzuheben. Dem überhaupt gegen alle „zivilgesellschaftlichen“ Vereinnahmungen immunen Werk des berühmten Selbstmörders weiß darum auch die Wiener Germanistin Daniela Strigl nur den Trost abzugewinnen, selbst „die Nazis“, die Kleist „freudig“ benutzt hätten, wären wenigstens daran gescheitert, ihn als „fortschrittlichen Militärkritiker weißzuwaschen“. In einen „Pazifisten“ könne man den „verhinderten Kriegshelden“ deshalb heute aber leider nicht verwandeln. (ob) www.literaturen.de

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