© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/11 21. Januar 2011

Die Einwanderer sind gefordert
Leitkultur statt Multikulti: Ein Sammelband analysiert den Zustand der Integration in Deutschland
Gerhard Vierfuss

Die Debatte um Zuwanderung und Integration in Deutschland hat endlich begonnen, und so ist es zu begrüßen, daß der umfassenden Problemdarstellung Thilo Sarrazins, die sie ausgelöst hat, Detailuntersuchungen an die Seite gestellt werden, die Einzelaspekte der komplexen Thematik ausleuchten. Dies gilt auch für die von Stefan Luft und Peter Schimany herausgegebene Aufsatzsammlung „Integration von Zuwanderern. Erfahrungen, Konzepte, Perspektiven“. Stefan Luft, in der Öffentlichkeit bekannt geworden vor allem durch sein Buch „Abschied von Multikulti“ (JF 3/07), ist Privatdozent an der Universität Bremen, Peter Schimany ist Referatsleiter beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg.

Der Band basiert auf einer öffentlichen Vortragsreihe, die im Wintersemester 2008/09 an der Universität Bremen stattfand. Die insgesamt elf Aufsätze behandeln ein weites Themenspektrum von übergreifenden Integrationskonzepten über Arbeitsmarktintegration, Schule und Sprache bis zur Einbürgerung. Wie nicht anders zu erwarten, sind sie von durchaus unterschiedlicher Qualität. Insbesondere die Texte derjenigen Autoren, die staatlichen oder kommunalen Behörden angehören, zeichnen sich durch Langatmigkeit, sinnlose Aneinanderreihungen von Statistiken und eine unkritische Haltung gegenüber der herrschenden Politik aus. Neue Erkenntnisse vermitteln sie nicht. Hierfür wird der Leser jedoch durch mehrere, teils hochinteressante Aufsätze entschädigt.

An erster Stelle zu nennen ist derjenige des niederländischen Soziologen Ruud Koopmans, der eine vergleichende Analyse der Integrationspolitik in acht europäischen Einwanderungsländern – darunter Deutschland, die Niederlande, Frankreich und Großbritannien –  vorlegt. Dabei geht es ihm um den Zusammenhang zwischen der Gewährung von Rechten, insbesondere Ansprüchen auf soziale Leistungen, sowie der Förderung von kultureller Diversität einerseits und sozioökonomischer Integration anderseits. Als Kriterien hierfür verwendet er die Bereiche Arbeitsmarkt, Wohnsegregation und Kriminalität.

Die Ergebnisse dieser mit großer Sorgfalt durchgeführten Untersuchung sind eindeutig und für Verfechter des Multikulturalismus niederschmetternd: Diejenigen Länder, die sich dieser Idee in der Vergangenheit am nachdrücklichsten verschrieben haben, schneiden am schlechtesten ab. Die Ausländerkriminalität in den Niederlanden ist mit Abstand die höchste, gefolgt von Schweden und Belgien; die Arbeitsmarktbeteiligung von Zuwanderern ist im flämischen Teil Belgiens am niedrigsten, kaum übertroffen von der in Schweden und den Niederlanden. Bei der räumlichen Segregation liefert neben diesen Ländern Großbritannien die schlechtesten Werte. Deutschland schneidet auf allen drei Gebieten überdurchschnittlich gut ab.

Koopmans interpretiert diese Befunde folgendermaßen: Integration von Zuwanderern gelingt am besten in den Ländern, die einen nur wenig ausgebauten Wohlfahrtsstaat aufweisen oder bei der Gewährung von Rechten an Zuwanderer restriktiv vorgehen. Länder mit starkem Wohlfahrtsstaat und großzügiger Vergabe von Rechten an Neuankömmlinge haben bei der Integration die geringsten Erfolge. Man kann es auch so ausdrücken: Ohne Integrationsdruck keine Integration.

Der Mannheimer Sozialwissenschaftler Hartmut Esser befaßt sich in seinem Aufsatz vor allem mit dem Wert von Zweisprachigkeit und der Bedeutung des Schulsystems für den Bildungserfolg von jugendlichen Immigranten. Während über die Wichtigkeit der Beherrschung der deutschen Sprache für die Integration inzwischen Einigkeit besteht, ist es nach wie vor umstritten, welchen Einfluß die Kenntnis der Muttersprache hat. Esser zeigt auf, daß die Bilingualität sich nicht positiv auf die Schulleistungen auswirkt, und zwar auch nicht, wie häufig angenommen, als Kompensation bei schwächeren Schülern. Das gleiche Ergebnis zeigt sich bei einer Betrachtung der Erwerbstätigkeit von Zuwanderern: Die Beherrschung der Muttersprache hat keine Relevanz für den beruflichen Erfolg.

Das gegliederte Schulsystem steht bei vielen in dem Ruf, Migrantenkinder besonders zu benachteiligen. Stichhaltige Untersuchungen zu diesem Thema gab es bisher jedoch nicht. Esser weist nun auf eine neuere niederländische Analyse zu den Pisa-Tests hin, die belastbare Ergebnisse liefert: Besondere Beeinträchtigungen von Migrantenkindern durch das gegliederte Schulsystem lassen sich nicht feststellen. Im Gegenteil: Sie profitieren davon – es unterstützt die Kinder von Migranten aus unteren Bildungsschichten beim sozialen Aufstieg stärker als ein integriertes Schulsystem. Ein Befund, über den Bildungspolitiker nachdenken sollten.

Seinen eigenen, abschließenden Beitrag widmet Stefan Luft dem Zusammenhang von Staatsangehörigkeitsrecht und Integration. Darin weist er die Verunglimpfung des deutschen Abstammungsrechtes ius sanguinis als „völkisch“ oder gar „rassistisch“ zurück: Es sei in seinem Kern „restriktiv, aber nicht hermetisch“ und habe „keine Kontinuitätslinie zur nationalsozialistischen Volkstumspolitik“ begründet. Den Verfechtern von Doppelstaatigkeit wirft er Einäugigkeit vor: Wer fordere, türkische Einwanderer sollten bei einer Einbürgerung ihren alten Paß behalten dürfen, verlange die „fortdauernde Geltung abstammungsbegründeter türkischer Staatsangehörigkeit“.

Fazit: Neben manchen überflüssigen enthält der Band einige sehr erhellende Aufsätze, die alle in einem Punkt übereinstimmen: Integration erfordert auch und vor allem eine Leistung der Einwanderer. Ohne Anstrengung von ihrer Seite ist sie nicht zu haben. „Multikulti“ ist auf der ganzen Linie gescheitert.

Stefan Luft, Peter Schimany (Hrsg.):    Integration von Zuwanderern. Erfahrungen, Konzepte, Perspektiven. Transcript Verlag, Bielefeld 2010, broschiert, 360 Seiten, 29,80 Euro

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