© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/11 28. Januar 2011

Dem Militär entfremdet
Die Bundeswehr hat einen neuen Skandal – aber es ist ein anderer als der in den Schlagzeilen
Thorsten Hinz

Ein wirres Knäuel namens „Bundeswehrskandal“ rollt durch die Medien-Manege. Es aufzudröseln ist nicht einfach. Wir haben also: Eine Kadettin, die während der Ausbildung auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“ in den Tod gestürzt ist. Einen Soldaten, der beim Afghanistan-Einsatz von einem Kameraden versehentlich erschossen wurde, worüber der Bundestag und die Öffentlichkeit nicht umgehend informiert wurden. Weiterhin soll Feldpost aus Afghanistan geöffnet worden sein. Außerdem wissen Journalisten von Schikanen und Alkoholexzessen auf der „Gorch Fock“ zu berichten. Einiges davon wird zu klären und manches abzustellen sein. Anderes erklärt sich mit den besonderen Umständen der Militärausbildung und des Krieges. Ein Skandal ergibt sich daraus nicht.

Der entsteht erst durch einen Verteidigungsminister, der auf Zuruf einer Boulevardzeitung den „Gorch Fock“-Kapitän suspendiert, ohne ihn angehört zu haben. Durch einen Bericht des Wehrbeauftragten,  der offenbar von der Opposition eilig an die Presse weitergereicht wurde, um den Nachwuchsstar des Regierungslagers zu demontieren. Durch Medienvertreter, die von Militärpolitik und militärischen Notwendigkeiten keine Ahnung haben. Stets stellen sie zweit- und drittrangige Fragen: Wer wann was gewußt und wem darüber berichtet hat, aber nie nach der Logik des Militärischen selbst. Bevor die geöffnete Feldpost  skandalisiert wird, müßte danach gefragt werden, ob sich vielleicht brisantes Fotomaterial darin befand, das geeignet war, die Sicherheitsinteressen der Soldaten und Deutschlands zu gefährden? Die Regeln des zivilen Lebens, zu denen das Postgeheimnis gehört, können nicht einfach auf den militärischen Alltag übertragen werden.

Der wirkliche Skandal liegt darin, daß Politik und Gesellschaft am Militär wenig Interesse haben und die Bundeswehr als Fremdkörper empfinden, der unter ständiger Quarantäne gehalten werden muß. Damit wird ihre Moral und Funktionsfähigkeit in Frage gestellt. Der Unernst unserer politischen und medialen Eliten ist eine Gefahr für das Land. Wir haben es mit Terrorismus, Piraterie und globalen Machtverschiebungen zu tun. Die Zufuhr von Rohstoffen und die Sicherheit der Handelswege ist alles andere als sicher. Auch die militärische Abwehr gewaltiger Flüchtlingsströme könnte eines Tages im Lebens-interesse Deutschlands und seiner Verbündeten liegen. Das sind die Fragen, über die mit Blick auf die Bundeswehr diskutiert werden müßte.

Der Unwille und die Unfähigkeit dazu erklären sich aus der generellen Fremdheit gegenüber dem Soldatischen. Soldatentum ist ohne einen gewissen Heroismus nicht zu haben. Die westlichen Länder – und vor allem Deutschland – sind in die Phase des Postheroismus eingetreten, das heißt, der Gedanke des Opfers ist ihnen fremd geworden. Wer die Bereitschaft bekundet, das eigene Leben in den Dienst des Landes zu stellen, erwirbt kein Prestige, sondern gilt als sozial gestört. Die Opferidee braucht aber einen Transzendenzbezug. Das Opfer muß sinnvoll und lohnend erscheinen; wer es erbringt, muß sich sicher sein können, daß es von der eigenen Gesellschaft verstanden, angenommen und gewürdigt wird. Herfried Münkler spricht von der narrativen Verdopplung des Helden, die als Gestaltung des heroischen Diskurses „die Regeln und Codices hervorbringt und kontrolliert, nach denen Gewaltanwendung zulässig und ehrenhaft ist“.

Die religiöse Transzendenz wurde im Westen durch die säkuläre Transzendenzform des Patriotismus ersetzt. Auch sie ist im Schwinden, doch in der Bundesrepublik fehlt sie völlig. Wegen der NS-Vergangenheit soll die Verpflichtung nicht mehr dem konkreten Staat, der Nation gelten, sondern der Verfassung. Der bundesdeutsche Patriotismus ist folglich ein Verfassungspatriotismus. Das wirft für den einzelnen die Frage auf, ob es sich lohnt, für das Grundgesetz zu sterben, als ein aufs Ganze gehender Verfassungsschützer auf dem Feld der Ehre zu fallen. Die Karrierebewußten unter den Verfassungspatrioten haben die Frage für sich beantwortet, indem sie den Wehrdienst in der Regel verweigern.

An diesem nationalstaatlichen Nihilismus muß das Konzept des „Staatsbürgers in Uniform“ scheitern. Es knüpft an die bürgerliche Emanzipationsbewegung an, die im späten 18. Jahrhundert einsetzte. Die Bürger wollten Staatsbürger sein, wozu ausdrücklich die Übernahme von Pflichten gehörte. Der Soldat war ein Staatsbürger in der konzentriertesten Form, weil er von Berufs wegen bereit war, für den Schutz des Gemeinwesens sein Leben in die Schanze zu schlagen. Wie fremd dieser Gedanke der bundesdeutschen Gesellschaft ist, zeigt sich darin, daß die deutschen Soldaten, die in Afghanistan gefallen sind, lange Zeit keine „Gefallenen“ sein sollten, obwohl darin die besondere Würde ihres Todes lag, der ein Opfer war. In einem Staat, dem der Drang nach Selbstabschaffung innewohnt, bleibt der Staatsbürger in Uniform, der seine Aufgabe bis zur letzten Konsequenz erfüllt, untergründig eine verdächtige Figur und sein Tod ohne Resonanz. Die Wirrköpfe, die am Rande von Rekrutengelöbnissen abwechselnd „Deutschland verrecke“ und „Soldaten sind Mörder“ skandieren, bringen diesen Zusammenhang auf den Punkt.

Damit entfällt auch die Notwendigkeit, über militärische Fragen nachzudenken, denn Militärpolitik ist Politik in höchster Konzentration. Einen erstrangigen Skandal hat der ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck publik gemacht, als er im Sommer 2010 erklärte, die Regierung habe bei ihrem Beschluß über das Bundeswehr-Engagement in Afghanistan mit einem einjährigen Einsatz gerechnet. Dies sollten die Medien besser aufgreifen, anstatt sich in Nebensächlichkeiten zu erschöpfen.

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