© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/11 28. Januar 2011

Dem Untergang geweiht
Gorch Fock: Nach den Berichten über angebliche Skandale an Bord droht dem Segelschulschi­ der Deutschen Marine das Aus
Hinrich Rohbohm

Die Gorch Fock hat Schlagseite. Und ein Kentern ist nicht ausgeschlossen. Nicht Sturm und hohe Wellen sind der Grund dafür. Es ist der Tod der 25 Jahre alten Offiziers-anwärterin Sarah Seele, der das 1958 vom Stapel gelaufene Segelschulschiff der Deutschen Marine in unruhige Gewässer und deren Besatzung ins Zwielicht manövriert hat (siehe aus Seite 5).

Am 7. November vorigen Jahres war die Unteroffizierin aus 27 Metern Höhe trotz gutem Wetter und Windstille aus der Takelage gefallen und auf das Deck gestürzt. Zwölf Stunden später erlag sie ihren Verletzungen. Was vor mehr als zwei Monaten noch als tragischer Unfall durch die Medien rauschte, droht sich jetzt für die Bundeswehr zu einem handfesten Skandal zu entwickeln. Denn inzwischen sind aus den Kojen der Besatzung neue, zum Teil schlüpfrige Details an Deck gespült worden, die mehr als nur einen häßlichen schwarzen Fleck auf der weißen Marineweste des Vorzeigeschiffs hinterlassen könnten.

Es geht um „Spannungen“ innerhalb der Besatzung. Um die Frage, ob der Drill an Bord zu hart ist oder ob die heutigen Offiziersanwärter des Schulschiffes immer weniger den Anforderungen der Ausbildung entsprechen. Die Obermaatin Seele soll vollkommen erschöpft gewesen sein, als sie zwei Tage vor ihrem Tod aus Deutschland in die brasilianische Hafenstadt Salvador de Bahia kam, in dem das Schiff während der Übung ankerte. Nur auf Druck ihrer Vorgesetzen soll sie in die Takelage gestiegen sein.

„Daß sie da immer noch erschöpft gewesen sein soll, kann ich nicht nachvollziehen“, sagt Dennis Walther (Name von der Redaktion geändert), der vor zwei Jahren als Offiziersanwärter auf der Gorch Fock seinen Dienst verrichtete und das Klettern in der Takelage insbesondere bei einer Trockenübung als nicht allzu anstrengend empfand. Zudem werde man vor dem Aufstieg noch einmal befragt, ob man sich nicht gut fühle.

Nach Seeles Tod wurde der Befehl zum Aufentern erneut gegeben. Vier Offiziersanwärter weigerten sich. Das Wort Meuterei machte in den Medien die Runde. Marineexperten hingegen winken ab. Denn bei einer Meuterei handele es sich um eine Revolte gegen Vorgesetzte. Hier könne jedoch nur von einer Befehlsverweigerung die Rede sein.Schließlich wurden sämtliche Offiziersanwärter zurück nach Deutschland gebracht, nur die Stammbesatzung blieb an Bord. Ein ungewöhnlicher Vorgang. Die Obermaatin habe sich möglicherweise umbringen wollen, raunen sich Offiziere zu. Von Spannungen ist die Rede, die immer wieder aufgetreten seien, seit auch Frauen die Ausbildung an Bord der Gorch Fock absolvieren.

 „Einige Frauen wurden als beste Absolventen ausgezeichnet. Weil das nicht immer plausibel war, haben einige Kameraden schon den Verdacht geäußert, daß das alles nur aus Gründen der Gleichberechtigung erfolgte“, schildert Walther eine Begebenheit aus seiner Ausbildungszeit. Nicht wenigen weiblichen Besatzungsmitgliedern werde zudem nachgesagt, sie gingen lediglich der reichlichen Auswahl an Männern wegen zur Bundeswehr, sagen Offiziere hinter vorgehaltener Hand. Gerüchte über Liebeskummer, Orgien und sexuelle Belästigungen machen die Runde, manche spotten, die Gorch Fock sei ein Bordellschiff.

Auch Sebastian Schneider (Name geändert), der 2007 als Offiziersanwärter auf der Gorch Fock gefahren ist, sieht den Einsatz von Frauen skeptisch. „Das Problem ist, daß Frauen auch in der Marine anders behandelt werden. Es ist nun mal so, daß einige der Offiziers-anwärterinnen schon rein körperlich den Aufgaben der Gorch Fock nicht gewachsen sind.“ Das führt zu einer Ungleichbehandlung an Bord und bildet genau einen Ansatzpunkt, um die Kameradschaft zu belasten. Doch wird sich das Problem nicht lösen lassen, da dies nun mal politisch so gewollt ist.“

Auch von Ritualen, wie dem sogenannten „Eulenschießen“ ist die Rede. Soldaten sammeln dabei von ihren Kameraden Geld ein und setzen eine Prämie aus. Die Summe erhalte derjenige, der sich der unattraktivsten oder schüchternsten Kameradin annehme. „Das Eulenschießen hat stattgefunden, ich habe es selbst miterlebt“, berichtet Dennis Walther.

Bis zu 2.000 Euro seien da schon mal als Prämie zusammengekommen. Unter den Offiziersanwärtern seien damals gut 30 Frauen mit an Bord gewesen. „Da hatten sich dann schnell einige Pärchen gebildet“, erinnert er sich. Der Platz unter Deck sei knapp bemessen. „Daher hat man eigentlich alles mitbekommen, was sich da so abspielte.“ Geschlafen wird in Hängematten. „Die Matten der Frauen sind normalerweise durch Vorhänge abgetrennt. Aber die waren meistens geöffnet.“ Immer wieder sollen sich Pärchen in die „Hängemattenlast“ zurückgezogen haben, einem Abstellraum, in dem die Matten tagsüber aufbewahrt werden.

Von Kameraden hatte Walther von Zweifeln an den Todesumständen von Jenny Böken erfahren. Die 18 Jahre alte Offiziersanwärterin war nach offiziellen Angaben am 4. September 2008 auf der Gorch Fock ausgerutscht und in die Nordsee gefallen. „Aber einige hatten mitbekommen, daß sie einen Tag zuvor dem Schiffsarzt über ihre Depressionen sprach.“ Die Besatzungsmitglieder hätten daher einen Selbstmord vermutet, zumal die Frau unter Liebeskummer gelitten haben soll. Die Kieler Staatsanwaltschaft hatte einen Suizid ausgeschlossen. Andererseits hatte sie die Ursache für den Tod nicht abschließend aufklären können. Der Vater des Opfers will die Ermittlungen nun wieder aufnehmen lassen. Doch die Staatsanwaltschaft lehnt das ab. Die Angaben des Vaters würden nicht ausreichen, um einen Anfangsverdacht gegen Dritte zu begründen.

Im Fall Sarah Seele ist die Kieler Staatsanwaltschaft von einem Unfall überzeugt. „Das Todesermittlungsverfahren wird in Kürze abgeschlossen sein. Zum jetzigen Zeitpunkt liegen uns keine Anhaltspunkte vor, daß andere Umstände zum Tod geführt haben könnten“, sagte Oberstaatsanwalt Bernd Winterfeldt der JF. Wegen sexueller Belästigung werde nicht ermittelt. Auf die „Eulenschießen“-Rituale angesprochen wiegelt der Jurist ab. „Auf so einem Schiff entstehen immer viele Geschichten und Gerüchte.“ Winterfeldt geht davon aus, daß das Verfahren „in etwa einem Monat“ abgeschlossen sein wird. Auf der Gorch Fock selbst, die sich derzeit in Argentinien befindet, ist offenbar eine Mediensperre verhängt worden. „Ich darf Ihnen dazu nichts sagen“, sagt ein Mitglied der Stammbesatzung der JF. Dann klickt es in der Leitung.

 

Segelschulschiff Gorch Fock

Das nach dem Künstlernamen des Marineschriftsteller Johann Wilhelm Kinau (1880 bis 1916)  benannte Segelschulschiff Gorch Fock der Deutschen Marine ist 1958 in Hamburg vom Stapel gelaufen. Die Bark ist bereits das zweite Segelschiff der Deutschen Marine unter dem Namen Gorch Fock. Das 1933 für die Reichsmarine als Schulschiff ebenfalls bei Blohm und Voss in Hamburg gebaute Vorgängerschiff ist etwas kleiner, aber ansonsten weitgehend baugleich mit dem heutigen Segler. Die Gorch Fock I fiel 1945 als Kriegsbeute an die Sowjetunion und diente dieser und später Rußland sowie der Ukraine ebenfalls als Schulschiff.  Seit 2003 liegt sie –  wieder unter ihrem alten Namen – als Museumsschiff in Stralsund.

Die Zukunft des Segelschulschiffes mit seinen 85 Mann Stammbesatzung und bis zu 138 Lehrgangsteilnehmern ist dagegen derzeit ungewiß. Eine Vorentscheidung über die weitere Verwendung könnte bereits Mitte des Jahres fallen. Sollte das Segelschulschiff Anfang August nicht für die Ausbildung der zum 1. Juli in die Marine eintretenden neuen Offiziersanwärter zur Verfügung stehen, könnte deren Ausbildung erstmals ohne eine Station auf einem Segelschulschiff erfolgen. Auch eine endgültige Außerdienststellung wird für diesen Fall nicht mehr ausgeschlossen.

Seit der Indienststellung der Bark sind sechs Besatzungsmitglieder durch Unfälle ums Leben gekommen. In diesem Zeitraum haben rund 14.000 Offiziers- und Unteroffiziersanwärter ihre Ausbildung absolviert.

Weitere Hintergrundinformationen auf der Internetseite der Bordkameradschaft Gorch Fock: www.gorchfock.de

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