© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/11 28. Januar 2011

Nach der Krise ist vor der Krise
Wirtschaftsliteratur: Ökonomische Fehlentwicklungen sind mit dem Versagen der Finanzmärkte eng ver­flochten / Negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft
Marco Meng

Haben wir aus der Krise gelernt? Reichen die in die Wege geleiteten Reformen aus? Armin Steinbach, Volkswirt und promovierter Jurist, und Philipp Steinberg, Beamter beim Bundesfinanzministerium, gehen in ihrem Buch „Nach der Krise ist vor der Krise“ diesen Fragen nach. Um eine Bewertung der bisherigen Bemühungen vorzunehmen, werden die getroffenen finanzmarktpolitischen Reformen dargestellt und ihre Auswirkungen auf die Finanzmärkte analysiert.

Unter anderem fragen sich die Autoren zu Recht, warum nicht auch Kapitalanlagegesellschaften und Hedgefonds zur Zahlung der Bankenabgabe verpflichtet wurden. Fazit: Die getroffenen Maßnahmen sind unzureichend, eine Wiederholung der jüngsten Finanzkrise ist nach wie vor möglich. Gerade der Markt für nicht über Börsen gehandelte Finanzprodukte (OTC-Derivate) müsse stärker reguliert werden, außerdem sei die Flucht von standardisierten Produkten in maßgeschneiderte OTC-Produkte zu verhindern. Doch letztlich werde man dem ausufernden Handel auf den Finanzmärkten nur durch die Besteuerung von kurzfristigen Transaktionen Herr. Tatsächlich ist etwa das Volumen von Kreditabsicherungen zwischen 2001 und 2007 um 700 Prozent gestiegen.

Was die Autoren (beide SPD-Mitglieder) nicht erwähnen: Erst die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder hat in Deutschland Kreditverkäufe zugelassen. Bemängelt wird, daß trotz fehlenden ökonomischen Nutzens die EU-Kommission Wiederverbriefungen nicht verboten hat. Doch muß man sich fragen, warum die Schaffung von Wertpapieren aus gebündelten Kreditforderungen überhaupt von volkswirtschaftlichem Nutzen sein soll. Der Handel mit Credit Default Swaps (CDS), also Ausfallrisiken von Krediten, die der US-Investor Warren Buffett treffend als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ bezeichnete, wird von den Autoren als sinnvoll angesehen, obwohl das deutsche Wirtschaftswunder auch ohne diese Erfindung stattfand. Eine Frage, die die Autoren ebenfalls unbeantwortet lassen, ist die, warum der Staat nicht verhindert, daß eine Bank überhaupt „systemrelevant“ werden kann.

Im zweiten Teil des Buches wird verlangt, daß die Reformen nicht auf die Finanzmärkte beschränkt bleiben dürfen. Vielfach liest sich das wie eine (ungewollte) Kritik an der Schröder-Politik: So befürworten die Autoren die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, um das stete Wachstum von Geldvermögen zu drosseln. Auch daß man das Heil in Exportsteigerung und steigender Abhängigkeit vom Auslandskonsum, der Lohnkostensenkung und weniger Regulierung suche, müsse sich ändern.

Wie das Beispiel Griechenland veranschaulicht, könne eine verfehlte Wirtschaftspolitik globale Krisen auslösen; allerdings ziehen hier die Autoren – wohl aus parteiideologischen Gründen – nicht die richtigen Schlüsse, sondern bleiben „politisch korrekt“. Dieses Lavieren im zweiten Teil des Buches ist nicht verwunderlich, schließlich schreibt Steinberg inzwischen auch die Reden des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel.

„Eine mangelnde Koordination der nationalen Wirtschaftspolitiken führt zur Destabilisierung der Realwirtschaft.“ Diese Behauptung, die weder objektiv noch logisch ist, führt die Autoren zum Verlangen nach einer „europäischen Wirtschaftsregierung“, die Augen davor verschließend, daß auch eine solche „Regierung“ erstens weder objektiv „gesamt­europäisch“ handeln wird und zweitens die unterschiedlichen Gegebenheiten in Europa auch damit nicht aufgehoben werden. Ähnlich naiv und utopisch wäre das Verlangen nach einer „Weltregierung“, um damit Kriege zu verhindern. Den letztlich konsequenten Schritt, die Rückkehr vom Euro zu den nationalen Währungen, lehnt man ab – so als könne eine Währung für unterschiedliche Länder mit unterschiedlichen Wirtschaften, unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungen und unterschiedlichen Sozialsystemen funktionieren.

Wenn die Autoren die Mißachtung des Haftungsprinzips im Finanzbereich anprangern, muß ergänzt werden, daß die Politik dieses bedenkenlos weiterführt: Nicht Managern, Finanzkonzernen oder Politikern, sondern dem Steuerzahler wird – gleich ob bei HRE, Euro oder Irland – die Last zur Reparatur von deren Fehlern aufbürdet.

Armin Steinbach, Philipp Steinberg: Nach der Krise ist vor der Krise. Metropolis-Verlag, Marburg 2010, broschiert, 233 Seiten, 19,80 Euro.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen