© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/11 28. Januar 2011

Gescheiterter Aufbruch und Neubeginn
Eine kurze Geschichte der konservativen Intelligenz nach 1945 (VIII):Bilanz der Gegenwart
Karlheinz Weissmann

Selbstverständlich war die Wiedervereinigung ein Primärziel der Konservativen, aber deren Vollzug entsprach nicht ihren Erwartungen. Zwar gab es 1989/90 eine verbreitete patriotische und antikommunistische Stimmung, auch Bereitschaft, die intellektuelle Vorherrschaft der Linken in Frage zu stellen. Aber es kam nicht zu jener Generalrevision, die die Linke gefürchtet, die die Rechte erhofft hatte. Die Ursache war kaum in den ausländerfeindlichen Krawallen zu suchen, die man der Rechten zuschrieb, eher im Endsieg des Westens und dem Aufschwung eines Neoliberalismus, dem sich die Mitte erleichtert, die Linke zögernd anschloß. Auch wenn man die These Francis Fukuyamas vom „Ende der Geschichte“ ablehnte, blieb der Eindruck, als ob zukünftig Demokratie und Marktwirtschaft die unbestreitbaren Grundlagen aller politischer Legitimität sein würden.

Den wirkungsvollsten Widerspruch fand diese Annahme durch Samuel Huntington, der die große Pazifizierung für illusorisch hielt und dagegen auf die düstere Prognose eines „Zusammenstoßes der Kulturen“ setzte, wobei er vor allem an einen Konflikt zwischen der westlichen und der islamischen Welt dachte. Huntingtons Buch zum Thema war zwar ein Bestseller, aber die Meinungsführer lehnten seine Argumentation rundheraus ab. Das war merkwürdigerweise anders bei einem Autor wie dem deutsch-griechischen Philosophen Panajotis Kondylis, dessen Auffassungen im Grunde wesentlich radikaler waren als die Huntingtons, denn Kondylis behauptete gegen die Vorstellung vom Posthistoire wie gegen die Annahme, daß sich der clash an die Grenzen von Kulturkreisen halte, daß Politik immer und unter allen Umständen zur menschlichen Existenz gehöre und daß sie immer und unter allen Umständen vom Faktor Macht bestimmt werde.

Mohler hat die Position von Kondylis einmal dahingehend bestimmt, daß es um eine Art von Rechts-Sein gehe, die es gar nicht mehr nötig habe, sich so zu bezeichnen. Das war ein Vorteil, der nicht nur die breite und naive Rezeption der Gedankengänge von Kondylis erklärt, sondern auch, warum er von ideologisch motivierten Angriffen verschont blieb. Diesen Vorzug teilte er mit wenigen des konservativen Lagers, das in den neunziger Jahren nicht nur mit einer weiteren Enttäuschung fertig werden mußte, sondern auch gezwungen war, einen Generationenwechsel zu bewältigen, der zum Ausscheiden jener Männer führte, die noch unter den sehr viel komfortableren Bedingungen der Nachkriegszeit ihre politische Stellung bezogen hatten.

Im Prinzip waren vier Reaktionen auf die Lage denkbar: Unterwerfung, Resignation, Rückzug, Neuansatz. Für den ersten Fall ist ausgerechnet das Schicksal der Zeitschrift Criticón symptomatisch, die Caspar von Schrenck-Notzing im Jahr 2000 aus Altersgründen an Gunnar Sohn verkaufte. Sohn hatte schon vorher zum Mitarbeiterkreis gehört, allerdings früh Zweifel an der Belastbarkeit seiner Weltanschauung und seiner intellektuellen Fähigkeiten genährt. Jedenfalls gelang es ihm nicht, Criticón im alten Sinne fortzuführen oder auf eine neue tragfähige Basis zu stellen. Der Ausweg, die Zeitschrift in ein Organ der mittelständischen Wirtschaft mit marktradikaler Tendenz umzuformen, scheiterte nicht nur, sondern mußte auch – wie die Neue Zürcher Zeitung mit berechtigter Häme feststellte – als „Kapitulation vor dem bösen alten Feind“ angesehen werden.

Es ist dabei zu betonen, daß es in Teilen des konservativen Lager durchaus Bereitschaft zu einem taktischen Bündnis mit Liberalen gab. Das gilt vor allem für das Umfeld der „Neuen Demokratischen Rechten“, ein Begriff den der Historiker Rainer Zitelmann kreiert hatte, um eine Gruppe von Wissenschaftlern, Journalisten und freischwebender Intelligenz zu bezeichnen, der es in der besonderen Situation nach dem Kollaps der DDR gelang, einflußreiche Positionen in Verlagen (Ullstein, Propyläen, Herbig, Langen Müller) und Zeitungen (Welt, Welt am Sonntag) zu gewinnen.

Dieser Vorstoß, der seinen sichtbarsten Ausdruck in der Veröffentlichung mehrerer Sammelbände mit Manifestcharakter fand – am wichtigsten war der von Heimo Schwilk und Ulrich Schacht herausgegebene „Die selbstbewußte Nation“ (1994) –, zerflatterte allerdings rasch. Das hatte nicht nur mit der Heftigkeit der linken Reaktion zu tun, angesichts der „falschen Normalisierung“ (Peter Glotz), sondern auch mit dem fehlenden Rückhalt in der Mitte, auf deren Zustimmung oder Einsicht in die Gemeinsamkeit der Interessenlage man gehofft hatte. Das Scheitern der breit angelegten Initiative „Gegen das Vergessen“, die im Blick auf den 8. Mai 1995 einen Gegenakzent zur etablierten Befreiungsrhetorik setzen wollte, war faktisch auch das Ende der Neuen Demokratischen Rechten; Zitelmann zog sich in die Privatwirtschaft zurück.

Zu den Gründen für diesen Fehlschlag zählte auch die fehlende Geschlossenheit der Formation. Tatsächlich handelte es sich um eine Allianz der Einzelgänger, solcher mit eher nationalkonservativer, solcher mit eher nationalliberaler oder libertärer Ausrichtung und einiger versprengter Linksnationaler. Wenn man ein pointiertes Gegenbild zu dieser Heterogenität sucht, findet man es im Lager der „Traditionalisten“, einer Strömung, die bis dahin nur in den romanischen Ländern deutlicher hervorgetreten war, vor allem in Italien, der Heimat des Kulturphilosophen Julius Evola. Dessen Bücher waren bis zum Beginn der achtziger Jahre in Deutschland weitgehend unbekannt, und zwar nicht nur, was die esoterischen Schriften betraf, sondern auch, was die politischen anging. Die älteren Übersetzungen, sogar die seines Hauptwerks „Erhebung wider die moderne Welt“ (1935), waren praktisch verschollen.

Als dann 1982 eine Neuausgabe erschien, profitierte die nicht nur von der New-Age-Welle, sondern auch vom Interesse an einer so andersartigen, in vieler Hinsicht bizarren, aber faszinierenden Perspektive. In der Folge sind praktisch alle großen Arbeiten Evolas in Deutschland erschienen. Trotzdem hatte der Traditionalismus keinen dauerhaften Erfolg. Die Szene blieb epigonal und eigenartig kopflos, brachte jedenfalls keine anerkannten Sprecher hervor. Die Versuche, eigene Organisationen oder Zeitschriften zu schaffen, sind ausnahmslos gescheitert.

Das hat auch damit zu tun, daß die Gedankenwelt der „Anti-Geschichte“ der konservativen Überlieferung in Deutschland zu fremd ist. Deren Fortsetzung verdankt sich in erster Linie zwei Projekten des „jungkonservativen“ Lagers. Dieser Begriff hatte zuerst eine Wiederbelebung in den achtziger Jahren erfahren, wurde dann aber auch von außen zur Beschreibung jener Gruppe akzeptiert, die einerseits mit einer gewissen Unbekümmertheit auf das Erbe der Konservativen Revolution zurückgreift, andererseits versucht, eine konservative und das heißt konkrete Antwort auf die Herausforderungen der Gegenwart zu geben.

Die einflußreichste Größe ist in dieser Hinsicht die JUNGE FREIHEIT, die sich unter Dieter Stein seit 1986 aus kleinsten Anfängen bis zu ihrem heutigen Auftritt entwickelt hat. Es spielt in dem Zusammenhang nicht nur der Erscheinungstakt und der Verbreitungsgrad eine Rolle, sondern auch die Funktion, das vorhandene Spektrum abzubilden und nach außen zu wirken. Die von der Gegenseite heftig bekämpfte Zulassung zur Bundespressekonferenz kann als symbolischer Durchbruch in diese Richtung verstanden werden.

In enger Verbindung zur JF entstand im Jahr 2000 das Institut für Staatspolitik (IfS), dessen Organisation und dauerhafter Erfolg ganz wesentlich auf die Anstrengungen von Götz Kubitschek und seines Nachfolgers in der Geschäftsführung, Erik Lehnert, zurückzuführen ist. Das IfS bildet heute so etwas wie den Kern einer konservativen Denkfabrik. Allerdings sind das Institut wie auch die JF zu einer Art Zitadellenpolitik gezwungen.

Wenn man sich darauf konzentrieren muß, nicht nur die Anforderungen des Tages zu bewältigen, sondern vor allem die Tradition zu wahren und Ideen dem Vergessen zu entreißen, so ist das keine Frage des freien Entschlusses, sondern hat in erster Linie mit von außen auferlegten Beschränkungen zu tun. Eine Offensive im Kampf um Meinungsmacht und Deutungshoheit kann nur erfolgreich sein unter veränderten Bedingungen, die zu verändern die eigene Macht nicht genügt.

Die ursprünglich auf acht Folgen angelegte JF-Serie des Historikers Karlheinz Weißmann ist um zwei weitere Folgen erweitert worden. Die nächste erscheint kommende Woche in der JF-Ausgabe 6/11.

Foto: Im Erdreich tief verwurzelt: Mit einer gewissen Unbekümmertheit auf das Erbe der Konservativen Revolution zurückgreifen

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