© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/11 28. Januar 2011

Im virtuellen Nirgendwo
Cyber-Universum: „Tron: Legacy“ von Joseph Kosinski
Claus-M. Wolfschlag

Als Steven Lisbergers „Tron“ 1982 in die Kinos kam, erwies er sich rasch als Entdeckung thematischen Neulands und als ästhetischer Meilenstein. Der Science-fiction-Film mit Jeff Bridges und Bruce Boxleitner in den Hauptrollen handelte von einem Computerspiel, in das ein junger „Hacker“ von einem Laser während des Einbruchs in eine Firmenzentrale eingesogen wird. Der Apparat digitalisiert den Menschen und rematerialisiert ihn innerhalb der virtuellen Welt des Computers.

Der Clou von „Tron“ war, daß die Computerinnenwelt einerseits ästhetisch in eine aus geometrischen Strukturen bestehende Landschaft führte, andererseits in ein autoritär strukturiertes Abbild der menschlichen Gesellschaft. Die einzelnen Computerprogramme traten in der virtuellen Welt als humanoide Figuren auf, die ihren Programmierern äußerlich ähnelten.

Die nun von Joseph Kosinski gedrehte Fortsetzung der Geschichte setzt mehr als dreißig Jahre nach „Tron“ an. Der einstige Computerhacker Kevin Flynn hatte es geschafft, wieder aus der virtuellen Realität in die menschliche Daseinsebene zu gelangen und die Computerfirma „Encom“ zu übernehmen. Bald darauf allerdings ging er freiwillig in das Cyber-Universum zurück, um dort eine utopische Idealwelt aufzubauen.

Diese Vorstellung ähnelt einigen gegenwärtigen Gedankengängen, die in der Verbreitung des Internets und seiner virtuellen Realitäten eine positiv gesellschaftsverändernde Kraft zu erkennen meinen, ja der Cyberwelt gar eine spirituelle, entkörperlichende Note zusprechen. Doch Kevin Flynn kehrte nie aus der Cyberwelt zurück, hinterließ stattdessen in der menschlichen Welt einen seelisch haltlosen Sohn, der als reicher Alleinerbe mit sich und seiner Verlassenheit nie ins reine gekommen ist.

Zwanzig Jahre nach dem ominösen Verschwinden erhält ein alter Freund der Familie eine Nachricht von Kevin Flynn (Jeff Bridges). Sie stammt von einem Anschluß aus der seit zwanzig Jahren stillgelegten Spielhalle Flynns. Dessen mittlerweile 27jähriger Sohn Sam (Garrett Hedlund) macht sich daraufhin auf, die verstaubte Halle mit ihren alten Spielgeräten zu inspizieren. Er stößt auf eine Geheimtür und das einstige Büro seines Vaters mitsamt eines laufenden Computers. Als er diesen betätigt, wird der alte Digitalisierungs-Laser aktiviert und Sam findet sich urplötzlich inmitten einer Computerwelt wieder.

In dem dort herrschenden rigiden System wird er umgehend als Fremdprogramm identifiziert und deshalb als Gladiator bei großen Kampfspielen eingesetzt. Es gelingt ihm durch eine weibliche Helferin allerdings zu fliehen und an den Rand der Cyberwelt zu gelangen. Dort, im dunklen Nirgendwo, trifft er auf seinen Vater, der, einem Eremiten gleich, gefangen in der unprogrammierten Leere der einst von ihm selbst gegründeten Welt haust.

In Kevin Flynn begegnet einem die Weisheit des Alters. Die von ihm geschaffene künstliche Gesellschaft der Programme hat sich gegen ihn gewendet. Sein einstiger Enthusiasmus im Erschaffen von Gesellschaftsutopien ist somit tiefer Skepsis und der bescheidenen Achtung vor der göttlichen Schöpfung gewichen.

„Tron: Legacy“ beeindruckt allerdings eher nur am Rande durch solch wertkonservative Fundierung, statt dessen vor allem durch seine ansprechende Bildästhetik. Der Zuschauer taucht ein in eine faszinierende Welt aus Lichtstäben, gläsernen Raumstrukturen und spartanisch eingesetzten Requisiten. Der einstige Computerfilm der achtzgier Jahre ist mit seiner Fortsetzung auch optisch im 21. Jahrhundert angekommen. Die Action-Elemente sind dabei sorgsam plaziert, drängen sich nicht in den Vordergrund. Somit ist „Tron: Legacy“ ein durchweg runder Unterhaltungsfilm mit nachdenklichen Tönen und einer faszinierenden Bildwelt geworden.

Foto: Kevin Flynn (Jeff Bridges) mit seinem Sohn Sam (Gerrett Hedlung): Gefangen in der unprogrammierten Leere

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