© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/11 28. Januar 2011

„1945 verbrannt“
Die Zerstörung Dresdens war für ihn ein tiefer Einschnitt: Theodor Rosenhauer im Erfurter Krämerhaus
Sebastian Hennig

Der Fotograf Richard Peter senior war der gewissenhafteste Chronist des zerstörten Dresdens. Traurige Berühmtheit erlangten seine grauenhaften Einblicke in die zu spät geöffneten Luftschutzkeller. Eines seiner erfreulicheren Lichtbilder zeigt inmitten der Trümmer einen Maler auf dem Falthocker vor der Feldstafellei arbeitend. Es ist der 1901 geborene Theodor Rosenhauer, der hier kein quälendes Mahnmal schafft, sondern mit delikater Peinture den pittoresk zusammengestürzten Sandsteinbrocken im Gemälde Dauer gibt.

Da streift ein Hund durch die geräumte Gasse zwischen den Schuttwällen, Ausgebombte fahnden nach Brauchbarem und die alte Pracht der Architektur ist anrührend noch im niedergebrochenen Zustand. Der Maler weiß, daß erst die Beräumung den Verlust endgültig machen wird und den aufgebahrten Leichnam der geliebten Stadt in gewöhnlichen Bauschutt verwandelt. Schon seit Februar läßt auch der sechs Jahre ältere Kollege Wilhelm Rudolph in einer Ekstase der Zeichenwut die Rohrfeder über das geborgene Büttenpapier eilen. Er begann damit am Tag nach dem Untergang der Stadt vor der Ruine des eigenen Wohnhauses.

Im Werkverzeichnis Theodor Rosenhauers enthalten die meisten Einträge zu den frühen Gemälden neben Angabe von Titel, Format und Technik die Bemerkung „1945 verbrannt“. Zwei der Lücken hat er ausgeglichen. Das „Stilleben mit verblühtem Löwenzahn“ von 1928, angekauft durch die Stadt Dresden und untergegangen mit dem König-Georg-Gymnasium, wiederholt er gleich 1945 und dann vierzig Jahre später noch einmal.

Der Einschnitt läßt ihn nie mehr los. Denn der abrupten Zerstörung entspricht eine lange Folgezeit der Verwahrlosung, der Achtlosigkeit und des Mangels. Die fünfzig Brot-Stilleben im Werk des Malers wirken wie das Credo einer Wertbeständigkeit inmitten des Wertverfalls. 1968 und 1982 entstehen je ein „Stilleben mit Totenschädel“ und „Dresdner Trümmerstück“, im Jahr darauf eine Replik vom „Stilleben mit Holunderbeeren im Korb und Äpfeln“: ein Spankorb mit den dichten purpurschwarzen Dolden der Holunderbeeren, daneben glühende Äpfel.

1934, im Entstehungsjahr der zerstörten Urfassung, wird er von den Dresdner Akademielehrern einstimmig für ein Lehramt an der Kunsthochschule vorgeschlagen. Aber die verantwortungsvolle Aufgabe wird schließlich als Pfründe an einen talentlosen Parteigenossen vergeben. Die nationale Erhebung versickert einmal mehr in den Niederungen der Mittelmäßigkeit.

Für dieses Künstlerleben ist es nur die Ouvertüre: In den nächsten Jahrzehnten wird immer wieder eine durch Taten und Haltung gerechtfertigte hohe Wertschätzung politisch bedingten Entwertungen verfallen. Das hat einen der bedeutendsten deutschen Maler des zwanzigsten Jahrhunderts gegen Ende dieses Lebens zu der Bemerkung veranlaßt: „Nicht meine Werke, nur mein Bemühen ist vielleicht zu loben.“

An Botho Strauß’ Aussage über das gegenläufige Verhältnis des Wertes bundesdeutscher Nachkriegsliteratur zur öffentlichen Wahrnehmung Ernst Jüngers erinnert es, wenn der Kunsthistoriker Rainer Zimmermann aus der westdeutschen Perspektive die Tatsache, daß es keinen Ankauf eines Rosenhauer-Gemäldes für ein Museum der alten Bundesrepublik gab, eine Bankrotterklärung nennt: „Die Intoleranz der Abstrakten hat sich noch rigoroser ausgewirkt als die Kulturpolitik der Kommunisten.“

Er erinnert daran, daß zur Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes in Köln 1952 alle drei Einreichungen Rosenhauers ausjuriert wurden, darunter eines seiner Hauptwerke: „Kind auf gelbem Stuhl“ (1948). Das Bild sagt mehr über die Situation der ersten Nachkriegsjahre in Deutschland aus als viele wortreiche Zeitzeugenberichte. Wie auf einem Thron sitzt das Mädchen mit bewölkter Stirn und großen fragenden Augen auf dem gelb lackierten Stuhl. Meisterhaft ausgewogen ohne virtuosen Leerlauf ist die farbige Behandlung der Gegenstände.

Jahrzehnte später überliefert der nonkonformistische Leipziger Schriftsteller Horst Drescher ein Gespräch mit dem Maler: „… ich glaube, eine viel zu wenig beachtete Gefahr in der Malerei ist, zu geschickt zu sein.“ Nach einer Weile setzt er lächelnd hinzu: „Natürlich muß man was könn’; Tübke kann zu viel, Rosenhauer kann zu wenig.“

Dieses Schlüsselwerk des Malers ist im Dresdner Albertinum ausgestellt. Nicht gezeigt wird das größte seiner Gemälde, „Nach dem Angriff“, welches ihm 1956 zu ihrer 750-Jahr-Feier den Kunstpreis seiner Heimatstadt eintrug. Für zwei Jahrzehnte war es sein berühmtestes Bild. Später, als das Gesamtwerk mehr in den Blick kam, wurde es als Ergebnis eines ideologischen Kompromisses abgewertet. Die überaus schwierige Aufgabe eines mehrfigurigen Handlungsbildes wurde eindringlich und unpathetisch bewältigt. Das Bild trägt alle Vorzüge der Malkunst seines Schöpfers und folgt auch inhaltlich seinem Anliegen. Verschiedene Motive einzelner Gemälde hat er in die große Komposition einbezogen: Ein Verletzter mit Kopfverband an dem eine Helferin sich betätigt, Menschen, die sich aneinander bergen, sich einander lebendig versichern, während um sie herum ein Leichnam und verstreute Gegenstände liegen. Eine Frau mit gesträubtem blonden Haar blickt wie irre vor sich hin, sucht Halt an den Nebenstehenden. Im Hintergrund verzieht langsam der Rauch und gibt eine fahle Trümmerstätte frei.

Rosenhauers Stellung wird erst deutlich werden, wenn die Kunstgeschichtsschreibung sich den tatsächlichen Verhältnissen zuwendet, die Lage erkennt und jene Filter von ihrer Optik abschraubt, die das hohle Pathos der Moderne ihr vor hundert Jahren appliziert hat. Was bedeutet es, wenn ein außergewöhnlich talentierter Maler den berühmten Oskar Kokoschka als Lehrer ausschlägt, der ihn bereits 1923 für einen Kunstpreis empfohlen hat, dafür dem zweitrangig-biederen Ferdinand Dorsch bis ans Lebensende geistig die Treue hält? Wenn er als Leitfiguren Carl Schuch und Hans von Marées wählt?

Vielleicht heißt es, daß er sensibel genug ist, zu erkennen, daß gerade von der ehrgeizigen Profilierung individueller Akzente die Malerei als überlieferte Mitteilungsform am meisten gefährdet ist. Er fühlt sich aufgerufen, hier zu erhalten und fortzuführen. Rosenhauer hat Züge in seiner Malerei, naiv anmutende Vereinfachungen, Steigerungen der Farbwirkung, die ihn als einen Zeitgenossen seiner Zeit unmißverständlich ausweisen. Darüber hinaus benutzt er Staffage-Figuren und Genre-Motive wie die alten Niederländer, Stilleben-Sujets die an Chardin gemahnen.

Eine der letzten Publikationen Fritz Löfflers 1988 in den Dresdener Kunstblättern beschreibt ihn: „Wenn man über Theodor Rosenhauer etwas Prinzipielles aussagen will, so ist es wohl das, daß er im Leben wie in der Kunst, seinem äußeren wie seinem inneren Habitus ein konservatives Element vertreten hat (…) In Theodor Rosenhauers Kunst hat es niemals Experimente gegeben. Das gilt sowohl für die Form als auch für den Inhalt, für den Gehalt wie für die Gestalt. Er ist an allen Versuchen vom Expressionismus über die Neue Sachlichkeit und dem, was später kam, völlig ungefährdet vorbeigegangen. Es hat sein künstlerisches Schaffen nicht berührt. Darin ist er der einzige seiner Dresdener Altersgenossen (…) Auch das Kriegsgeschehen mit seinen Folgen konnte ihn nicht mehr aus der Bahn werfen oder auch sein Werk nur verändern.“

Wie Ernst Jünger hat auch Rosenhauer durch seine Beharrlichkeit und sein hohes Alter jene Ehrungen erreicht, mit welchen die Öffentlichkeit bei unerwünschtem Hervorragen die Distanz wiederherzustellen pflegt. Seit zehn Jahren prangt eine Gedenktafel an dem Haus, in dem er neunzig Jahre wohnte und malte. Wichtiger wäre es freilich, den unnatürlichen Abstand einer interessierten Öffentlichkeit zu den im Depot verschwundenen Bildern aufzuheben und damit zugleich den Blick auf die deutsche Malerei nach 1945 entscheidend zu korrigieren.

Die Rosenhauer-Ausstellung ist bis zum 26. Februar im Erfurter Bilderhaus Krämerbrücke, Krämerbrücke 30, zu sehen. Öffnungszeiten: Mi.-Fr. 11 bis 18, Sa. bis 16 Uhr.

Literatur: Theodor Rosenhauer, mit Texten von Stefan Bongers-Rosenhauer, Susanne und Klaus Hebecker, Sehsam Verlag Erfurt 2010, gebunden, 288 Seiten mit 150 ganzseitigen Bildtafeln und 35 textbegleitenden Abbildungen, 58 Euro

Fotos: Theodor Rosenhauer arbeitet zwischen Trümmern an seinem Ölgemälde „Blick auf das Japanische Palais nach dem Angriff“ (Foto von Richard Peter senior): Die alte Pracht der Architektur ist noch im niedergebrochenen Zustand anrührend. Der Maler weiß, daß erst die Beräumung den Verlust endgültig machen wird., Rosenhauer, Kind auf gelbem Stuhl (1948): Fragende Augen

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