© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/11 28. Januar 2011

Kriegsknecht wider Willen
Die Kriegstagebücher des konservativen Essayisten Gerhard Nebel
Erik Lehnert

Bereits vor mehr als zehn Jahren gab es den Versuch, Gerhard Nebel als einen „zu Unrecht Vergessenen“ wiederzuentdecken. Der Essaysammlung „Schmerz des Vermissens“ war damals allerdings kein Erfolg beschieden. Außer einigen anerkennenden Rezensionen verhallte der Versuch ungehört. Nebel blieb ein Unbekannter, der fast ausschließlich im Zusammenhang mit Ernst Jünger erwähnt wurde. Die jetzt neu erschienenen Kriegstagebücher Nebels, wiederentdeckt, ausgewählt und mit einem Nachwort von Michael Zeller, haben wiederum das Ziel, Nebel aus dem Schatten Jüngers herauszuführen.

Der 1903 in Dessau geborene Nebel las 1933/34 zum ersten Mal etwas von Ernst Jünger und war, nach anfänglicher Skepsis, bald in dessen Bann. Seine schriftstellerische Arbeit stand von Beginn an unter dem Impuls, den ihm die Jünger-Lektüre vermittelte. Seine Lehrerlaufbahn, die er nach dem Philosophie- und Altphilologie-Studium eingeschlagen hatte, stand unter keinem guten Stern, so daß er sich lieber dem Schreiben widmete. Sein erstes Buch „Feuer und Wasser“ erschien 1939 und enthält zwei Aufsätze über Jünger, die ihm den brieflichen Kontakt mit diesem einbrachten.

Der Kriegsausbruch hatte für Nebel zunächst keine Folgen: Als ungedienter „weißer Jahrgang“ konnte er noch bis 1941 unterrichten, bevor ihn die Einberufung zur Luftwaffe ereilte. Als Dolmetscher in Paris traf er Jünger, der ihn in den „Strahlungen“ als „glänzenden Geist“ rühmt. Allerdings hatte Nebel ein anderes Temperament als der zurückhaltende Jünger und machte aus seiner regimekritischen Haltung keinen Hehl. Das führte schließlich zu seiner Versetzung zu einem Baubataillon auf den Kanalinseln, was Nebel im Vergleich zu Paris wie eine Verbannung erscheinen mußte. Am Tag seiner Abreise aus Paris, dem 23. Februar 1942, begann Nebel mit seinen Aufzeichnungen, die er nach dem Krieg in drei Bänden veröffentlichte.

Nebel schildert im ersten Band seinen bis zum September 1942 andauernden Aufenthalt auf den Kanalinseln, der recht ereignislos ist und daher viel Raum für Reflexionen läßt. Dieser Teil des Tagebuchs, der 1948 unter dem Titel „Bei den nördlichen Hesperiden“ erschien, ist vor allem als eine Selbstvergewisserung Nebels über seine Lage als nachdenkender Mensch zu verstehen, der sich in seinem Freiheitsdrang beschränkt und der dumpfen Maschinerie des Militärs ausgeliefert sieht. Seine Verachtung insbesondere für Offiziere ist umfassend und gleitet nicht selten in Überheblichkeit ab.

Nach einem Zwischenspiel in Deutschland wurde Nebel im Juli 1943 nach Italien versetzt. Über diese Zeit berichten die beiden weiteren Bände: „Auf ausonischer Erde“ (1949) und „Unter Partisanen und Kreuzfahrern“ (1950), die bis zu seiner Entlassung aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft am 18. November 1945 reichen. Die Jahre in Italien waren von dem sich wandelnden Charakter des italienischen Kriegsschauplatzes bestimmt. Nebel blieb zwar der „Kriegsknecht wider Willen“ und das „Etappenschwein“, das sich vor möglichst jedem Auftrag zu drücken verstand und wird dennoch zunehmend in den eskalierenden Partisanenkrieg hineingezogen. Ihm war bewußt, daß er Zeuge eines Weltbürgerkrieges wird, und seine Lage ist daher eine tragische: Er kann als Deutscher nicht in den alliierten Deutschenhaß einstimmen, gleichzeitig aber wünscht er sich die Niederlage, weil es keine andere Möglichkeit gibt, Hitler loszuwerden.

Diese Tagebücher hat Michael Zeller in einer Auswahl wieder zugänglich gemacht. Er hat dabei die Dreigliederung beibehalten, jedoch von den fast eintausend Druckseiten der Originalausgaben lediglich ein Drittel ausgewählt, so daß diese jetzt nicht nur am 10. Mai 1945 enden (und damit Nebels scharfe Kritik an den Alliierten unterschlagen), sondern auch eine Stringenz und Souveränität vortäuschen, die die Originale nicht haben. Um Nebels Tagebüchern überhaupt wieder eine Chance zu geben, gelesen zu werden, waren Kürzungen unvermeidlich. Und selbst in der Verstümmelung wird deutlich, daß es sich um einen wichtigen und nicht zuletzt sehr unterhaltsamen Text handelt.

In seinem Nachwort geht Michael Zeller auf die Person Nebels und die positive Rezeption der Tagebücher im Nachkriegsdeutschland ein. Ernst Jünger kommt dabei denkbar schlecht weg. Vor allen Dingen vermutet Zeller, daß Jünger Nebel den Erfolg mit den Tagebüchern geneidet und deshalb eine mögliche französische Übersetzung hintertrieben habe. Hätte er den Briefwechsel der beiden, der 2003 erschien, bis zu Ende gelesen, wäre ihm aufgefallen, daß die Übersetzung offenbar an anderen Gründen gescheitert ist. Zeller macht sich auch nicht die Mühe, das Verhältnis von Jünger und Nebel zu rekonstruieren, was für diesen Vorwurf schon notwendig wäre.

Nebels Nachruhm ist mit dieser Schwarzweißmalerei nicht gedient. So wichtig die Kriegstagebücher sind, sie reichen nicht an Nebels Werke der fünfziger Jahre heran, als er sich einen Namen als eigenständiger und -williger Denker sowie als Reiseschriftsteller (ohne Bezugnahme auf Jünger, mit dem es zwischen 1951 und 1960 schließlich zum Bruch kam) machen konnte. Daß sich sein Name nicht erhalten hat, liegt nicht an Jünger, sondern am Zeitgeist, der zunehmend unduldsam mit konservativen Köpfen wie Nebel verfuhr.

 

Dr. Erik Lehnert ist Philosoph und Geschäftsführer des Instituts für Staatspolitik (IfS). 2004 veröffentlichte er das Buch „Gerhard Nebel. Wächter des Normativen“

Gerhard Nebel: Zwischen den Fronten. Kriegstagebücher 1942–1945. wjs-Verlag, Berlin 2010, gebunden, 282 Seiten, 24,90 Euro

Foto: Gerhard Nebel (1903–1974): Ständiger Bezug zu Ernst Jünger

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