© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/11 28. Januar 2011

Hemmungsloser Staatsterrorismus
Wilhelm Dietl porträtiert die mehr brutal als konspirativ arbeitenden Geheimdienste islamischer Länder
Wolfgang Kaufmann

Die islamischen Länder Iran, Syrien, Libyen, Jemen, Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien leisten sich insgesamt über dreißig Geheimdienste, die zudem auch noch völlig überdimensioniert sind. Doch Masse ist hier einmal mehr nicht gleichbedeutend mit Klasse. Wie Wilhelm Dietl, Journalist, Ex-BND-Mitarbeiter und nunmehriger Autor eines Buches über diese „Schattenarmeen“, an einer Reihe von aufschlußreichen Beispielen nachweist, agieren die nahöstlichen Dienste oftmals arg dilettantisch – jedenfalls, was das übliche Kerngeschäft, nämlich Nachrichtensammeln und Analysieren, betrifft.

Denn in den „Disziplinen“ Geiselnahme, Folter, Mord und Terrorismus zeigen die ebenso rast- wie skrupellosen Apparate meist deutlich mehr Gewandtheit, wenngleich es auch hier immer wieder zu peinlichen Pannen kommt. So traten die staatlich gelenkten Killerkommandos der Islamischen Republik Iran in der Vergangenheit derartig indiskret auf, daß man ihnen sage und schreibe 162 Terroranschläge in zwanzig Staaten rund um den Globus nachweisen konnte. Darunter fällt nicht zuletzt das Massaker an vier Kurdenpolitikern in der Berliner Taverne „Mykonos“ im Jahre 1992 – organisiert im Auftrag des iranischen Geheimdienstes VEVAK vom Landsmann und Endlosstudenten Kazem Darabi, dessen Aufenthaltserlaubnis von ideologisch verblendeten deutschen Ausländerbehörden immer wieder aufs großzügigste verlängert worden war. Dazu kommen jede Menge Verdachtsfälle.

Wie Dietl vermutet, stecken die Iraner wohl unter anderem auch hinter dem spektakulären Anschlag von Lockerbie, der gemeinhin als Racheakt Libyens für amerikanische Bombenangriffe auf Tripolis und Benghasi gilt. Doch die wirklich entscheidenden Drahtzieher des Ganzen saßen offenbar gar nicht im Umfeld Gaddafis, sondern in Teheran; ihr Motiv war aller Wahrscheinlichkeit nach Vergeltung für den irrtümlichen Abschuß eines Airbus der Iran Air durch den US-Kreuzer „Vincennes“.  

In ihrer Mischung aus strategischer Ineffizienz und gnadenloser Brutalität, welche maximal nur Pyrrhussiege hervorbringt, sind die nahöstlichen Geheimdienste ein ebensolcher Ausdruck der weitgreifenden Agonie des islamischen Welt- und Wertesystems wie Selbstmordattentäter. Das freilich hindert machiavellistisch gesinnte Schlapphüte im Westen (Deutschland eingeschlossen) nicht daran, Allianzen mit den „Schattenarmeen“ einzugehen oder zumindest freundliche Kontakte zu pflegen, wie der Bundesnachrichtendienst zu seinem syrischen Pendant.

Damit liegt die paradoxe Situation vor, daß offenkundige Feinde unserer Kultur und Lebensart direkt oder indirekt zur Verteidigung derselben beitragen sollen. Daß eine solche Vorgehensweise – die neben allem anderen auch das zunehmende Auslagern von Folter in Richtung Jordanien, Ägypten, Syrien usw. einschließt – nicht nur unmoralisch und gesetzeswidrig, sondern schlichtweg selbstzerstörerisch ist, dürfte jedem einigermaßen realistisch denkenden Menschen klar sein, wenn er sich durch die aufschlußreichen Fallschilderungen von Dietl hindurchgegruselt hat. Hierfür gebührt dem Buch unzweifelhaft Beachtung und dem Autor Anerkennung.

Dies gilt allerdings nur mit der Einschränkung, daß das Insider-Werk leider auch einen ziemlich gravierenden Mangel aufweist. Gerade weil es zahlreiche interessante Informationen enthält und Denkanstöße bietet, ist man als aktiver Leser versucht, weitergehende Recherchen oder zumindest Überprüfungen des Dargebotenen vorzunehmen – genau das ist jedoch wegen der durchweg fehlenden Nachweise, die mit Sicherheit nicht nur dem notwendigen Quellenschutz geschuldet sein können, glattweg unmöglich.

Dennoch: Die Enthüllungsschrift zum Thema „Schattenarmeen“ gehört schon deshalb in die Hände möglichst vieler Bürger hierzulande, weil sie nebenher noch eine sehr praktische und potentiell vielleicht sogar lebensrettende Botschaft vermittelt. Bekanntlich ist es ja mittlerweile ein leichtes, in ein x-beliebiges Reisebüro zu spazieren und Trips in den Iran oder nach Libyen zu buchen. Laut den Hochglanzkatalogen der Anbieter handelt es sich hier schließlich um ebenso unproblematische wie empfehlenswerte Reiseziele. Das jedenfalls suggerieren Slogans folgender Machart: Der Iran, „ein oft verkanntes Land“, komme „traumhaft, berührend und voller Poesie“ daher, während Libyen „ein ungeschliffener Diamant und ein Paradies für Entdecker“ sei. Dabei unterschlagen die geschäftstüchtigen Urlaubsverkäufer freilich, daß ständig irgendwo auf der Welt – und nicht selten auch in Deutschland – Angehörige der Geheimdienste gerade dieser beiden Länder auffliegen.

Und das hat dann immer wieder die gleiche Konsequenz: Um die eigenen Agenten bzw. Auftragsmörder freizupressen oder der ausländischen Strafverfolgung gleich von vornherein zu entziehen, kidnappen die Geheimapparate des Iran oder Libyens kurzerhand Bürger der Staaten, mit denen man in Austauschverhandlungen treten möchte. Wie die bisherigen diesbezüglichen Vorfälle gezeigt haben, kann es dabei letztlich auch völlig harmlose Touristen treffen, also nicht nur risikofreudige Geschäftsleute oder gar unbequeme Journalisten. Man denke bloß an den Fall des deutschen Anglers Donald Klein, der 2005 in iranische Geiselhaft geriet und dann 468 qualvolle Tage später gegen den erwähnten Staatsterroristen Darabi ausgetauscht wurde. Angesichts dieser Umstände sollte jeder Neugierige dreimal darüber nachdenken, ob es tatsächlich ratsam ist, den Sirenenrufen der Reiseveranstalter zu folgen und in das „poetische“ Reich der Mullahs oder den „paradiesischen“ Wüstenstaat des Obristen Gaddafi zu pilgern.

Wilhelm Dietl: Schattenarmeen. Die Geheimdienste der islamischen Welt. Residenz Verlag, Salzburg 2010, gebunden, 304 Seiten, gebunden, 21,90 Euro

Foto: Dschamkaran-Moschee im iranischen Qom und die Schattenarmee: Große Gewandtheit in den „Disziplinen“ Geiselnahme, Folter und Mord

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