© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/11 04. Februar 2011

„Wie hast du hier überlebt?“
Der Sprecher der israelischen Armee hat ein Buch über seine Jugend im Berliner Problembezirk Wedding geschrieben. Er lebte unauffällig unter Muslimen, bis offenbar wurde, daß er Jude ist. An diesem Tag zerbrach seine Welt.
Moritz Schwarz

Herr Shalicar, warum ist „ein nasser Hund besser als ein trockener Jude“?

Shalicar: Weil ein Jude als noch widerlicher und abstoßender galt als ein nasser Hund. Man muß wissen, daß im Iran, von wo mein Vater Mitte der siebziger Jahre nach Deutschland ausgewandert ist, Hunde als die dreckigsten Lebewesen auf Erden betrachtet wurden. Die größte Beleidigung war es also, den Juden klarzumachen, daß sie noch unter einem nassen Hund rangieren. Es gab Muslime, die, wenn es regnete, nie auf derselben Straßenseite wie ein Jude gingen, da Regentropfen, die von diesem abprallten, auf ihn hätten fallen und die „jüdische Krankheit“ übertragen können. Lieber wäre man selbst mit einem nassen Hund in Berührung gekommen.

Sie sind 1977 in Deutschland geboren. Was hat das mit Ihnen zu tun?

Shalicar: Ich habe dieses Bild als Titel für mein Buch gewählt, weil es die Verachtung und den Haß spiegelt, der mir selbst in Deutschland entgegenschlug – allerdings, sechzig Jahre nach der Shoah, nicht von deutscher Seite.

Die „Berliner Zeitung“ schreibt: „Nie zuvor ist der muslimische Antisemitismus in Deutschland so drastisch und schockierend geschildert worden, wie von Shalicar.“

Shalicar: Es ist eben ein Buch über ein neues Deutschland, ein Deutschland, das viele Deutsche gar nicht kennen. Die meisten denken ja, Antisemitismus habe sich hierzulande im Grunde historisch erledigt. Aber das stimmt nicht. Sie wissen nur meist nicht, was es mit den Parallelgesellschaften in ihrem Land auf sich hat – und das nicht nur in bezug auf den Antisemitismus.

Ihr Buch offenbart drastisch die deutsche Lebenslüge: Multikulti ist ein Pulverfaß.

Shalicar: Die Lage im Berliner Bezirk Wedding, in dem ich aufgewachsen bin und das Buch spielt, ist kein Multikulti mehr – da gibt es ja kaum noch jugendliche Deutsche! Multikulti gab es in Berlin-Spandau, wo wir zu Beginn lebten, wo auch deutsche Kinder zu meinen Freunden zählten und wo mehr oder weniger noch die westliche Leitkultur galt. Wedding oder Neukölln sind dagegen längst muslimisches Monokulti. Zunächst, als Kind, war ich ganz zufrieden, in den Wedding zu kommen, denn da waren fast alle „Schwarzköpfe“ wie ich. Aber dann, eines Tages, erfuhr diese fast ausschließlich islamische Umwelt, daß ihr Kumpel Sharuz, den sie als Perser automatisch immer für einen Muslim gehalten haben, ausgerechnet Jude ist.

Sie waren damals 13 Jahre alt ...

Shalicar: ... und wußte eigentlich selbst nicht, was ein Jude ist, denn meine Eltern sind säkular und das Jüdischsein hat bei uns im Alltag keine Rolle gespielt. Mir war sogar lange Zeit gar nicht klar, daß ich Jude bin, bis meine Großmutter mir ein Kettchen mit Davidstern schenkte. Die muslimischen Jungs, mit denen ich damals abhing, trugen fast alle voller Stolz Halsketten mit Anhängern, die ihre Abstammung deutlich machten. Ich fand das „cool“ und erinnerte mich, daß ich doch auch so etwas zu Hause hatte! Mir war nicht klar, daß die anderen meinen Anhänger ganz und gar nicht „cool“ finden würden – ganz im Gegenteil ...

An diesem Tag zerbrach Ihr Leben.

Shalicar: Definitiv, denn bis dahin war ich einer von ihnen gewesen; ich hörte ihre Musik, spielte mit ihnen Fuß- oder Basketball, schaute den gleichen Mädchen hinterher, sie waren meine besten Freunde. Das aber war auf einen Schlag alles vorbei! Zunächst konnten sie es natürlich nicht fassen: „Sharuz, du verarschst uns! Du bist unser bester Freund, du bist niemals Jude! Wir erkennen einen Juden sofort ... und außerdem gibt es keine guten Juden.“ Ich sah als „Schwarzkopf“ ja aus wie ein Muslim und von persischen Juden hatten die meisten noch nie etwas gehört. Doch von da an wandten sich sehr viele von mir ab. Ich wurde zu Freiwild, mußte ständig Beleidigungen, Drohungen, Demütigungen und ihren Haß gegen das jüdische Volk ertragen, den sie in expliziten Vernichtungsphantasien ganz ungeniert lauthals äußerten: Alle Juden sollten getötet und Israel zerstört werden, auch jüdische Babys verdienten nach Meinung mancher keine Schonung. Ging ich vorbei, machten sie Zisch-Laute wie ausströmendes Gas. Selbst wildfremde Leute arabischen Aussehens beschimpften mich offen und laut als „Drecks-“ oder „Scheißjude!“, wenn sie meinen Davidstern erkannten.

Wenn ein Deutscher auch nur andeutungsweise etwas Antisemitisches sagt ...

Shalicar: ... gibt es einen Riesen-Aufschrei – der muslimische Antisemitismus wird dagegen oft geduldet.

Warum?

Shalicar: Wie gesagt, die meisten wissen einfach nichts davon, weil dort kaum noch Deutsche sind. Und wenn doch, haben sie Angst, sich einzumischen, denn das könnte gefährlich für sie werden.

Warum haben Sie nicht die Schule gewechselt?

Shalicar: Wo ich auch hinkam, stets begann das Spiel von neuem: Im Fußballverein, auf der Straße, auch in der neuen Schule, sobald sie erfuhren, daß ich Jude bin, begannen Ausgrenzung, Beleidigungen, Drohungen. Ging ich bei uns über die Straße, hieß es, sie duldeten nicht, daß „der Jude“ hier über „ihre“ Straße „stolziert“. Einmal – ich war gerade vierzehn – umringte mich überraschend eine Gruppe, angeführt von einem ehemaligen „Freund“: „Da haben wir ja unseren Juden. Sitzt hier einfach an ‘unserem’ U-Bahnhof und schämt sich nicht einmal.“ Mein ehemaliger „Freund“ hatte frische Erdbeeren dabei. „Gefallen dir meine Erdbeeren, Jude? Mach mal deinen Mund auf!“ Erst weigerte ich mich, aber was blieb mir schließlich übrig. „Weiter, weiter! So weit, bis es nicht mehr geht!“ Er drückte mir Erdbeeren rein: „Friß, Jude, friß!“ Ich versuchte erneut zu erklären, daß ich zwar Jude sei, aber nicht religiös. Als Antwort setzte es eine Ohrfeige: „Erzähl uns keine blöden Geschichten. Du gehörst zum stinkendsten Volk auf Erden. Frieden wird es nicht geben, ehe ihr alle im Meer ersauft!“ Unversehens fand ich mich also – mitten in Berlin – im Nahostkonflikt wieder.

Deutschland hat mit der Einwanderung auch die Konflikte importiert?

Shalicar: Auf jeden Fall, ein Beispiel: Mit einem türkischen Freund fuhr ich  Bus, er hatte keine Fahrkarte, der Kontrolleur erwies sich als Syrer. In kürzester Zeit war aus der Fahrschein-Zwistigkeit ein Streit Syrer gegen Türke geworden, wobei der syrischstämmige Kontrolleur dem Türken vorwarf, daß sein Land die Muslime verraten habe, weil es mit Israel zusammenarbeite. Zum Glück hat er nicht spitzbekommen, daß der Kumpel  des Türken ein Jude war!

Zu den wenigen, die trotz allem zu Ihnen hielten, gehörte der Türke Mehmet. Zunächst glaubt man an seine Toleranz ...

Shalicar: Tja, dahinter steckte eher, daß viele Türken die Araber hassen. Mehmet hatte früher zu einer Gruppe türkischer Nationalisten gehört und nach seiner Meinung mußten sich Türken und Juden, die auch in der Türkei weitgehend friedlich zusammenleben, gegen Kurden und Araber verbünden, zu „Kankardesler“, zu Blutsbrüdern werden, um den Nahen Osten gemeinsam zu regieren. Aber es liegen ja nicht nur Türken und Araber im Streit, sondern auch Palästinenser mit Libanesen, Libanesen mit Syrern, Syrer mit Irakern, Iraker mit Iranern etc. etc. Fast jeder ist mit jedem verfeindet und für viele spielt es keine Rolle, daß sie in Deutschland und Tausende Kilometer von den Konflikten weg sind. In einem aber sind sich die meisten einig: in ihrem Haß auf die Juden. Einmal fragte mich ein ehemaliger „Freund“ verwundert: „Wie hast du es nur geschafft, im Wedding zu überleben?“

Wie haben Sie es geschafft?

Shalicar: Ich hatte das Glück, daß zu den ganz wenigen Ausnahmen, die mich auch als Juden akzeptierten, ein libanesischer Kurde mit Einfluß gehörte. Wenige Monate nach unserer Bekanntschaft wurde ich bei den Weddinger Black Panthers aufgenommen, einer türkischen Gang. Der Preis war allerdings, daß ich mich den Regeln unterwerfen mußte, ich war in Schlägereien, Drogendelikte und andere kriminelle Handlungen verwickelt. Ich wurde verhaftet, stand vor Gericht, saß sogar für kurze Zeit im Gefängnis.

Sie schreiben, Sie haben auch einen Mann niedergestochen.

Shalicar: Nicht niedergestochen, das klingt ja, als ob ich ihn umgebracht hätte, ich würde sagen „angestochen“.

Was, wenn Sie sich diesem Gesetz der Steppe verweigert hätten?

Shalicar: Dann wäre ich wohl untergegangen, hätte täglich Prügel bezogen, wäre das „Opfer“ gewesen, mit dem jeder fast ungestraft machen kann, was er will. Gut möglich, daß ich heute nicht mehr am Leben wäre.

Es kam der Moment, in dem Sie an Selbstmord dachten.

Shalicar: Ja, ich schloß die Augen und fuhr das Auto einfach blind geradeaus, ich wollte nicht mehr ... Zum Glück ist damals nichts passiert. 

Was ist mit den Deutschen dort?

Shalicar: Die Deutschen dort erleben längst, daß es immer mehr Muslime gibt, die sie – obwohl sie in ihrem Land leben – als minderwertig betrachten und oft auch entsprechend behandeln. Es ist nicht nur der Jude, der Pole, der Afrikaner, jeder Nichtmuslim sitzt bei ihnen auf der Anklagebank, da wird kein Unterschied gemacht. Die Deutschen sind in den Augen vieler radikaler Muslime „Scheißchristen“, „Schweinefleischfresser“ oder „deutsche Nutten“. In diesen Kiezen geben Muslime den Ton an.

... und „den Terror“, wie Sie schreiben.

Shalicar: Als Nichtmuslim mußt du dich unterorden oder die Konsequenzen ertragen. Aber es ist nicht nur die verübte Gewalt, viel schlimmer sind die Strukturen des Hasses, die kranken Ansichten, gemäß denen alles verachtet wird, was nicht so ist wie man selbst, und die all die praktischen Demütigungen, die Gewalt und die Kriminalität legitimieren. Das sind Leute, die ihren Haß nicht nur hegen, sondern leben. Und sie verbreiten ihn weiter, Straße um Straße, tragen ihn schließlich über Kieze hinaus und auch über die Grenzen der Großstädte. Und das Problem existiert ja nicht nur in Berlin, sondern ebenso in Stuttgart, Hamburg, Köln, Rotterdam, Brüssel, Malmö, Paris oder Marseille.

Sie schreiben allerdings, letztlich steckt nur eine Minderheit dahinter.

Shalicar: Ja, es ist kompliziert. Es gibt nicht wenige Muslime, die bereit sind, sich zu integrieren, die lernen, arbeiten und schon sehr deutsch sind. Aber das sind die ruhigen Typen, die geben nicht den Ton an. Das tun die Radikalen, obwohl sie in der Minderheit sind. Sie üben diesen Druck aus, durch den jeder sich als der Größte und Gefürchtetste beweisen muß. Das führt dazu, daß auch solche, die eigentlich von sich aus nicht aggressiv und radikal sind, sich zum Teil dennoch so verhalten, einfach um sich zu behaupten. Und so schafft es eine radikale Minderheit, an den Schulen oder auf den Straßen unter Umständen Mehrheiten zu radikalisieren.

Ihre Geschichte ist für Sie glücklich ausgegangen, Sie sind heute in Israel. Der Krieg im Wedding aber geht weiter.

Shalicar: Das stimmt. Und es ist ein verhängnisvoller Kreislauf, der unterbrochen werden muß, weil sonst das ganze einmal böse ausgehen wird.

Bevor Sie Deutschland verließen, zog Sie aber noch die Bundeswehr – zum ersten mal waren Sie allein unter Deutschen.

Shalicar: Am ersten Abend saßen wir alle in einem großen Saal und jeder mußte erzählen, woher er kommt. Ich sagte gleich „Ich bin Jude!“ und machte eine Pause. Doch sehr zu meiner Verwunderung gab es keine Reaktionen. Ich diente meine zehn Monate und wurde nicht ein einziges Mal wegen meiner Religion angesprochen. Ich hörte auch niemanden darüber Witze machen, noch stellte sich jemand gegen mich, weil er nicht mit einem Juden zusammensein wollte. Von Freunden habe ich allerdings gehört, daß es auch genügend rechtsradikale Jugendliche in bestimmten Einheiten gab. Ich jedoch hatte Glück, daß meist gebildete und tolerante Deutsche in meiner Sanitätseinheit dienten.

Dennoch haben Sie sich entschieden, nach Israel zu gehen.

Shalicar: Deutschland ist ein modernes, erfolgreiches und einflußreiches Land und das nur gut sechzig Jahre nach der totalen Zerstörung. Das ist beachtlich, und die Deutschen haben Grund, stolz auf ihr Land zu sein. Sie sind meist eher korrekt, pünktlich, arbeitsam, und ich habe einen Teil dieser deutschen Eigenschaften in mir und bin auch stolz darauf. Ich habe durchaus auch eine kleine deutsche Identität. Und es macht mich glücklich, daß ich das mitbekommen habe. Meine Mutter wollte wegen des Nahostkonflikts, daß ich lieber nach Amerika auswandere. Ich war da: Das Leben dort ist reich und schön, aber was nützen mir zwei Autos und drei Fernseher? Amerika ist nicht mein Land. Ich spürte, mein Land ist Israel! Und so fand meine Reise ihr Ende: Nur hier können meine Kinder, meine Frau und ich als Juden unter Juden leben: zu Hause und in der Heimat.

 

Arye Sharuz Shalicar, sorgt derzeit mit seinem Buch „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“ (dtv) in den internationalen Feuilletons für Aufmerksamkeit. 1977 wurde er als Sohn persisch-jüdischer Einwanderer in Göttingen geboren. 2001 wanderte er nach Israel aus, lebt heute in Tel Aviv und ist einer von vier Pressesprechern der israelischen Armee. Shalicar beschreibt, wie seine Familie im Iran der fünfziger Jahre im Ghetto lebt, verachtet, gehaßt und attackiert. Schließlich gelingt es, nach Israel auszuwandern, doch die Diskriminierung der orientalischen durch die aus dem Westen eingewanderten Juden ist so schlimm, daß die Familie resigniert und wieder in den Iran zurückkehrt. Dann wandert sie nach Deutschland aus, wo sie erstmals frei und gleichberechtigt leben kann. Bis sie in den moslemisch dominierten Berliner Bezirk Wedding zieht ... Arye Sharuz Shalicar ist ein fesselndes Buch gelungen, das sämtliche politisch korrekten Vorstellungen auf den Kopf stellt.

Foto: Das Gesetz der Steppe in unseren Straßen: „Sonst wäre ich untergegangen, hätte täglich Prügel bezogen, wäre das Opfer gewesen, mit dem jeder macht, was er will, und vielleicht schon tot“

 

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