© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/11 04. Februar 2011

Die neue Macht der Namenlosen
Aufruhr in Arabien: Die Regime stürzen ein wie ein Kartenhaus / Angst vor Fundamentalismus
Curd-Torsten Weick

Wer ist der nächste der vom Thron gestürzt wird? Bashar al-Assad in Syrien? König Mohammed VI. in Marokko? Ali Abdallah Saleh im Jemen? Jordaniens König Abdullah II. oder gar König Abdullah in Saudi-Arabien? Experten wollen sich nicht festlegen. Zu unterschiedlich seien die Staaten. Dennoch, die Rede von einer Zäsur, Zeitenwende, ja Revolution in der arabischen Welt ist virulent. Ein Alleinherrscher nach dem anderen muß sich erklären, von politischen Reformen sprechen und die Regierung umbilden. Die Stabilität, die bis vor kurzem die arabische Welt zu kennzeichnen schien, wirkt nun wie ein brüchiges Kartenhaus.

Allen voran Ägypten. Als Stütze im Friedensprozeß mit Israel, Kämpfer gegen Saddam und die islamistischen Muslimbrüder galt das autokratische Regime Husni Mubaraks über dreißig Jahre lang als Hort der Stabilität. Eine durch US-Milliardenhilfe gewahrte Stabilität, die  gestützt durch Notstandsgesetze, die seit 1981 in Kraft sind, sowie durch einen straff organisierten Sicherheitsapparat und die zehntgrößte Armee der Welt garantiert wurde. Doch die politische Stabilität auf der einen Seite bedingte andererseits staatliche Kontrolle, die wenig Freiraum bot. Mubarak regierte mit harter Hand. Opponenten drohten Haft und Folter.

Derweil zog die National-Demokratische Partei (NDP) die Fäden und überließ sowohl den kleinen säkularen Parteien als auch den Muslimbrüdern eine Statistenrolle. Letztere stellten zwar Parlamentsabgeordnete, durften aber nicht als Partei auftreten. Doch dies ist nun längst Schnee von gestern. Das imposante Gebäude der NDP ist bereits vor einer Woche in Flammen aufgegangen und geplündert worden. Auch sonst steht kaum ein Stein auf dem anderen. Über 150 Tote bei Unruhen, Plünderungen, überhastete Ministerwechsel und Demokratisierungsversprechen zeigen ein Land am Abgrund.

 Was wie in Tunesien als Aufstand der gut ausgebildeten, arbeitslosen Jugend begann, entwickelte sich zu einem Massenprotest aller Bevölkerungsteile. Twitternd, via Internet, SMS und Facebook sowie auf Schritt und Tritt vom arabischen Sender al-Jazeera begleitet, probt die arabische Jugend den Aufstand gegen Unfreiheit, Machtmißbrauch und soziales Elend – und ist dabei erfolgreich. Gerade dies wertet der Nahostexperte Ferhad Ibrahim Seyder im Gespräch mit der JF als „historisch“. Vor allem der Umstand, daß keine ideologische und politische Organisation die Revolte geplant habe, sei ein Novum. Nun schaffe eine „Graswurzelbewegung“ das, was sonst im arabischen Raum von Eliten, Agenten und Militärs in die Wege geleitet wurde.

Doch was folgt dem Aufstand? Im Kampf gegen den Alleinherrscher stehen linke Gruppierungen, islamistische Muslimbrüder und bürgerliche Kräfte vereint. Doch allein der Blick zurück läßt in der westlichen Welt die Alarmglocken schrillen. Auch am Anfang der Islamischen Revolution im Iran standen linke, islamistische und bürgerliche Demonstranten zusammen. Das Ergebnis ist bekannt. Nun steht die Angst vor der Muslimbruderschaft im Raum.

Anders als in Tunesien können die Muslimbrüder auf gut ausgebaute Strukturen zurückgreifen. Bei freien Wahlen wird ihnen ein Wählerpotential von maximal 25 Prozent zugesprochen. Somit sind sie als Machtfaktor in Ägypten nicht wegzudenken. Ist ihnen ein Umsturz zuzutrauen? „Dieses Risiko gibt es immer“, erklärt der bürgerliche Oppositionsführer und Friedensnobelpreisträger Mohammed el-Baradei  im Profil-Interview und beschwört zugleich seinen zivilgesellschaftlichen Weg: „Es ist aber ein Irrtum zu glauben, daß es lediglich die Wahl zwischen autokratischen Regimes oder radikal-islamischen Regierungen gibt, die einen Gottesstaat einführen.“

Die Frage ist nur, ob sich die ägyptische Mittelschicht durchsetzen kann, oder das Militär als Statthalter des „Mubarakismus“ weiter für Stabilität sorgt.

Foto: „Marsch der Millionen“ in Kairo:  Massenproteste haben das System Mubarak in Ägypten zerstört. Die Frage ist nun: Was folgt?

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