© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/11 04. Februar 2011

Die zögerlichen Neukonservativen
Eine kurze Geschichte der konservativen Intelligenz nach 1945 (IX): Grenzgänger und Überläufer
Karlheinz Weissmann

Schon zu Beginn der neunziger Jahre hat Matthias Horx – „Trendforscher“, der um den Zeitgeist als „harte Tatsache“ weiß – über „Post-Emanzipation“ und wachsende Zweifel am linken Weltbild geschrieben. Das hing natürlich damit zusammen, daß Horx als Angehöriger der Achtundsechziger-Generation in die Jahre kam, aber auch damit, daß die Stimmung kippte, das Querulieren um jeden Preis ermüdete und der große Weltplan genauso erledigt war wie der kleine Traum vom alternativen Leben. Horx glaubte sogar schon, den „jungen Rechten“ auszumachen, der sich den rebellischen Gestus der Linken aneignete und dem im Grunde nur „irgendeine Form faszinierender kultureller Modernität“ fehlte, um gefährlich zu werden. Aber wichtiger als dieser Vortrupp war die Masse derer, die Horx etwas boshaft „Neospießer“ nannte.

Es bedurfte noch einiger Zeit, bis das Phänomen klarere Konturen gewann. Ganz eindeutig zu definieren ist es sowieso nicht, da das, was man „neues Bürgertum“ nennt, keine Schicht und kein Ethos repräsentiert, trotz entsprechender Appelle nicht auf die Barrikaden zu rufen ist, sondern eher für einen gewissen Lebensstil steht, dessen „Werte“ man als bürgerlich betrachten kann, als eine Art Anzahlung auf das, was erst ein „neues bürgerliches Zeitalter“ (Udo di Fabio) vollständig und in institutioneller Form zu realisieren hat.

Als Leitorgan des neuen Bürgertums kann die Zeitschrift Cicero gelten. Gegen alle Wahrscheinlichkeit hat sich das Magazin seit seiner Gründung im Jahr 2003 erfolgreich entwickelt, fest verankert im Etablierten, aber mit deutlicher Neigung, wider den Stachel zu löcken. Im August 2006 erschien eine Ausgabe zum Thema „Wie konservativ ist der Zeitgeist?“, in der Jürgen Busche drei Thesen aufstellte: „These 1: Der Zeitgeist ist konservativ, weil sich die Avantgarde erschöpft hat“, „These 2: Der Zeitgeist ist konservativ, weil die Ressourcen knapp werden“, „These 3: Der Zeitgeist ist konservativ aus Sehnsucht nach Strenge und Autorität“.

Gegen die Analyse, die Busche lieferte, war wenig einzuwenden, so wenig wie gegen seine Behauptung, daß die CDU außerstande sei, den Trend zu nutzen, weder den fröhlichen Patriotismus, der sich bei der Fußballweltmeisterschaft geäußert hatte, noch die Bejahung von Marktwirtschaft und Leistungsprinzip, noch den unerwarteten Hang zu Familie und Verständigung zwischen Alt und Jung.

So frappierend die im weiteren vorgeschlagene Eingemeindung von Florian Illies, Hape Kerkeling, Paul Nolte, Paul Kirchhof, Frank Schirrmacher und Stefan Aust mit Günther Jauch als „Moderator“ wirkte, es haftete ihr etwas Unernstes an. Das Konzept lebte wesentlich von einem Überraschungsmoment, es stand dahinter aber kein politischer Entwurf, eher der Versuch, einem Gefühl Geltung zu verschaffen, das im Gegensatz zu dem Gefühl, das bis dahin vorherrschte, „nicht links“ war.

Entsprechend hat Wolfram Weimer, der erste Chefredakteur von Cicero, seine eigene Position markiert und gleichzeitig deutlich gemacht, daß er auch „nicht rechts“ stehe, sondern für ihn Konservatismus und Mittellage identisch seien. Es lag nahe, daß ihm diese Vorstellung viel Sympathie in der Union einbrachte, und einige ihrer Wortführer, der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch genauso wie die Viererbande im Nachwuchs (Stefan Mappus, Markus Söder, Philipp Mißfelder und Hendrik Wüst), die es 2007 mit der Proklamation des „modernen bürgerlichen Konservatismus“ versuchte, in solchem Sinn konservativ sein möchten: als „Gedanke, daß wir eine Erwerbsgesellschaft sind und uns entsprechend ausrichten müssen – mit Rücksicht natürlich auf Belange der Menschen ...“

Weimer hat auch sonst dazu beigetragen, dem Begriff „konservativ“ ein positives Image zu verschaffen, mehr aber nicht. Freundlich verpackt brachte einer seiner Berufskollegen, der Spiegel-Journalist Jan Fleischhauer, sein Unbehagen an dieser Art von Unverbindlichkeit zum Ausdruck. Fleischhauers 2009 erschienenes Buch „Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde“ (JF 25/09) ist zwar im Plauderton gehalten, aber inhaltlich weitaus deutlicher und schärfer als Weimers Editorials. Was da geschildert wird an individuellen wie kollektiven Beschädigungen durch ’68, an Kumpanei von Altgenossen und der Bündnisfähigkeit des Schwarzen Blocks, an Arroganz der Funktionäre und ungebrochenem Sendungsbewußtsein hundertmal gescheiterter Ideologen, wurde in dieser Kompaktheit lange nicht präsentiert.

Am deutlichsten kommt Fleischhauers Unverfrorenheit aber in seiner politischen Selbsteinschätzung zum Ausdruck: „Der einzige Unterschied zwischen links und rechts ist (…), daß die Linken kein Problem haben, sich auch als solche zu bezeichnen, während die Rechten dazu neigen, sich möglichst nah an die Mitte zu schmiegen, aus Angst, man könnte ihnen sonst aus ihrer Selbsteinschätzung einen Strick drehen.“

Die Reaktionen auf Fleischhauers Erkundungsfahrt durch das „Imperium der Linken“ fielen deutlich schärfer aus als jede Kritik, die Weimer zu hören bekam. Andererseits erlaubte es ihm seine Stellung, unangenehme Wahrheiten offen auszusprechen, die andere aus Angst um ihre Position oder Reputation lieber beschwiegen. Die Neigung, Tatsachen zu kaschieren, politisch-korrekte Formeln nachzubeten, ohne Rücksicht auf die Realitätswahrnehmung der Bevölkerung, hat Fleischhauer ausdrücklich als Aspekte der linken Meinungsherrschaft benannt und darauf hingewiesen, welche Menge politischer Sprengstoff mittlerweile angesammelt wurde. Bezeichnend ist allerdings auch, daß er selbst, in dem Augenblick, als ein – sehr kleiner – Teil der Ladung hochging, Deckung nahm. Fleischhauers Kritik an Thilo Sarrazin war zwar verhalten, aber deutlich genug, um zu erkennen, daß er sich am offenen Kampf nicht beteiligen wollte.

Die Sarrazin-Debatte des vergangenen Sommers war so etwas wie die Probe auf die Politikfähigkeit der Neukonservativen. Sie haben sie nicht bestanden. Als die Zeit am 16. September 2010 mit der Frage „Kommt was von rechts?“ titelte und hinzufügte „Nie waren die Bedingungen für eine Partei der Unzufriedenen besser“, konnte man schon wissen, daß die Gelegenheit ungenutzt bleiben würde. Es fand sich niemand, der bereit war, auf den Plan zu treten und den Unmut zu kanalisieren, der in unerwarteter Heftigkeit zutage trat, weder Sarrazin in Person noch irgendein Führungsmitglied jener idealen Rechtspartei, die sich Michael Klonovsky in einem Beitrag für den Focus ausgemalt hat.

Klonovsky ging zwar weiter als die Pop-Konservativen, aber weder konnte er die Frage beantworten, woher die Bereitschaft der Arrivierten zum Dissens kommen sollte, noch wie an politische Arbeit zu denken ist, solange die Gleichung von Konservatismus und ironischer Distanz aufzugehen scheint.

Es gibt selbstverständlich Gründe für das Zögern, für den Zweifel an der Durchsetzungsfähigkeit einer Partei rechts der Union. Es gibt aber auch den Zwang der Lage und die Zuspitzung der Entwicklung. Der Soziologe Norbert Bolz, Überläufer von links und eine zentrale Figur unter den Neukonservativen, hat sehr treffend auf diesen Sachverhalt hingewiesen und gefolgert: „Eine rechte Partei des selbstbewußten Konservativismus kann natürlich keine Kopfgeburt sein, sondern müßte aus dem ‘Volk’ hervorgehen. Dennoch haben die Intellektuellen hier eine Schlüsselstellung.“

Wenn es nicht genügt, unter den Bedingungen der Krise auf die spontane Entstehung einer Protestbewegung zu setzen oder auf irgendeinen Demagogen, der sich schon findet, zu vertrauen, hängt von der Intelligenz die Klärung dessen ab, was als konservative Linie zu betrachten ist, welche programmatischen Grundsätze zu gelten haben und in welche Tradition sich der Konservatismus stellen sollte, vor allem wie eine zeitgemäße Form von Tory-Demokratie aussehen könnte. Diese Aufgabe ist bis jetzt ungelöst. Sie ist nur zu lösen, wenn drei Voraussetzungen erfüllt werden: Erstens, die Grenzgänger und Auch-Konservativen sollen sich erklären; zweitens, eine konservative muß eine politische Bewegung sein; drittens, die Lagersolidarität reicht von Hinz bis Mosebach, von Sloterdijk bis Weißmann, von Dieter Stein bis Lorenz Jäger.

Die zehnte und letzte Folge dieser JF-Serie des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint kommende Woche in der JF-Ausgabe 7/11.

Foto: Natürliches Wachstum: Intellektuelle haben eine Schlüsselstellung

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